Elfter elfter, elf Uhr elf
Vera Sturm
Am 11. November um 11:11 Uhr beginnt in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Karnevalssession. Auch wird mit Laternenumzügen der Martinstag gefeiert.
„Ist das ein bescheuertes Datum“, fand Kim und Tippte auf meinen Kalender, in dem ich meine Reporter-Termine eingetragen hatte. „11.11. um 11:11 Uhr. Kreativer geht es kaum.“
„Dort wird in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz der Beginn der Karnevalssession gefeiert. Ich bin da dabei und werde ein paar der Narren interviewen“, klärte ich Kim auf, dann zog ich ihr meinen Kalender aus den Fingern. „Von Privatsphäre hast du auch noch nie etwas gehört, oder?“ Doch darauf ließ sich Kim gar nicht erst ein.
„Ich mag Karneval nicht wirklich. All diese öden Prunksitzungen und der ganze Kram – nichts für mich!“ Verächtlich schnaubte Kim.
„Ich stehe auch nicht so drauf, aber zum Beispiel bei meiner Oma läuft dort die ganze Zeit der Radio oder der Fernseher, damit sie all das mitbekommt. Auch Umzüge guckt sie unglaublich gerne an. Das ist ihr Element.“ Ich musste bei dem Gedanken grinsen, denn meine Oma kam zu dieser Zeit so richtig in Fahrt und hüpfte tanzend durch die Wohnung. Das fand ich sehr amüsant. Als Kind habe ich auch viel mit ihr getanzt, doch inzwischen mochte ich es nicht mehr so.
„Und wie lange geht das Prozedere?“
„Das variiert von Jahr zu Jahr, aber so um die hundert Tage sind es meist.“ Ich war mir nicht ganz sicher, aber ungefähr musste es stimmen.
„Also muss man da hundert Tage Karneval feiern?“, stutzte Kim.
„Nicht direkt. Dazwischen liegt schließlich auch Weihnachten. Darum ist es für mich so ein Widerspruch, im November mit Karneval zu beginnen und erst im Februar damit die Haupt-Feiertage zu feiern. Als Kind habe ich mich jedenfalls gefreut, dass es mehr Feiertage gibt. Woher diese kommen, war mir ziemlich egal.“
„So lange? Was für Feiertage sind das?“
„Nachdem der Beginn im Vorjahr die Fastnachtszeit eingeläutet hat, kommt im Februar – ganz selten noch Anfang März – die Weiberfastnacht. Diese kann man auch Schmutzigen Donnerstag nennen. Danach kommt der Karnevalssonntag, der Rosenmontag und der Aschermittwoch.“
„Am Dienstag ist nichts?“
„Nein“, erklärte ich.
„Wie einfallslos!“ Schnell war Kims kurze Neugier wieder erloschen. „
„Und ich dachte, am 11. November ist der Martinstag“, wunderte sich Dina, die uns belustigt zugehört hatte.
„Stimmt, das ist auch am 11. November. Dieser Tag hat viele Ereignisse.“ Ich blätterte in meinem Block, in dem ich schon Infos herausgesucht hatte, da ich über diesen Tag einen Artikel schreiben musste. „Einige prominente Persönlichkeiten wurden an diesem Tag geboren.“
„Wirklich? Wer denn?“, interessierte sich Kim.
„Wir können ja ein Rätsel machen“, schlug ich vor, doch Kim machte mir klar, dass sie es nicht wollte.
„Nein, das ist blöd! Sag, wer hat da Geburtstag?“
„Soll ich die jetzt einfach so runter beten?“ Verdattert runzelte ich die Stirn, doch genau das wollte Kim. „Na gut, die bekanntesten von ihnen im Überblick: Karl Ⅳ wurde am … Ach“, unterbrach ich mich und legte meinen Block auf den Tisch, „lies es einfach selbst. Das geht wesentlich schneller.“
11.11.1748 – Karl IV (König von Spanien)
11.11.1955 – Friedrich Merz (dt. Politiker)
11.11.1974 – Leonardo DiCaprio (US-Schauspieler)
11.11.1983 – Philipp Lahm (dt. Fußballspieler)
„Interessant“, meinte Kim emotionslos.
„Und was machen wir jetzt?“, wollte ich wissen.
„Wir können das Sankt-Martins-Lied singen“, scherzte Dina.
„Wie geht das?“, fragte Kim.
Kurz blickten Dina und ich uns an, dann zählte ich auf drei und wir begannen zu singen. Nicht schön, aber laut. Kim schien es zu gefallen, denn auf ihrem Gesicht zeichnete sich große Freude ab. Sie kam mir wie ein Kleinkind vor, das von seiner Mutter ein Gute-Nacht-Lied vorgesungen bekam. In der Hälfte der Strophe brach ich lachend ab.
„Wieso hörst du auf? Singt bitte weiter“, bat Kim und klatschte begeistert in die Hände.
„Da hast du uns etwas eingebrockt“, stöhnte ich, an Dina gewandt, doch sie schien es nicht zu stören.
„Und was wird an diesem Martinstag gefeiert? Ich kenne das gar nicht.“
„Wir sind als Kinder singend mit Laternen durch die Straßen gezogen auf dem Martinsumzug. Dabei wird an die Barmherzigkeit von Martin erinnert, der seinen Mantel mit seinem Schwert geteilt hat, um einem frierenden Bettler eine Wärmende Decke zu geben, damit dieser nicht erfror. An diese gute Tat wird jährlich erinnert. Da gibt es unterschiedliche Traditionen. Neben dem Laternenumzug gibt es noch die Martinsgans.“
„Na super! Das reicht mir schon!“, motzte Kim. Sie war nämlich Vegetarierin und hieß es gar nicht gut, Tiere zu essen.“
„Wir hatten auch eine Martins-Brezel“, fügte ich zur Beschwichtigung hinzu. Diese Brezel hatte ich sehr geliebt. Doch leider hatte ich schon lange nicht mehr eine solche gegessen. Das letzte Mal, als ich im Kindergarten gewesen war, fiel mir auf. Verdammt lange her!
„Darf ich dich zu dieser Prunksitzung begleiten?“, platze Kim unerwartet heraus.
„Ich dachte, dich interessiert es nicht“, wunderte ich mich.
„Jetzt eben doch. Das klingt spannender als mit einer Laterne singend durch die Straße zu laufen.“
Darauf war ich nicht gefasst. Lachend suchte ich nach Worten. „Du wirst doch nicht gezwungen, das kleinere Übel zu wählen. Du musst weder zum einen noch zum anderen Fest, wenn du nicht willst“, versicherte ich.
Kim horchte auf. „Gehst du auf beide?“
„Ja, erst zur Prunksitzung und dann, wenn es dunkel ist, zum Umzug.“
„Dunkel wird es ja schnell, seit die Uhr umgestellt ist“, wandte Dina ein.
„Dann komme ich auf beides mit“, meinte Kim entschlossen.
„Dein Ernst?“
„Mein voller Ernst!“, versicherte sie.
„Wisst ihr was, dann komme ich auch einfach mit. Wird bestimmt lustig.“
„Das wird es, schließlich bin ich dabei!“, versprach Kim, die noch gar nicht wusste, was genau auf sie zukommen sollte.
„Oh ja, das glaube ich dir!“ Da war ich mir sicher.