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Natürlich ist es okay, wenn ihr euch liebt!

Niklas Böhringer

Zwei deiner Figuren kommen zu dir und gestehen dir ihren Wunsch, ein Paar werden zu wollen. Wie reagierst du?

Gerade verließ ich das Haus und dann standen sie direkt vor mir: Vera und Felix, Hand in Hand.

„Vera, Felix, was für eine Freunde, euch beide hier zu sehen“, rief ich ihnen entgegen.

Vera grinste beschämt und blickte zu Boden. Dann atmete sie tief durch und schaute mir direkt in die Augen. Lange konnte ich ihrem Blick nicht standhalten. Ich wandte ihn kurz ab. Als sie sich räusperte, guckte ich wieder auf.

„Wir, also Felix und ich, wollen dir sagen, dass wir uns sehr mögen“, druckste sie herum. „Ich, wir wollen dir sagen, dass du … wir wollen dich fragen, ob wir …“

„Was Vera zu sagen versucht“, sprang Felix kurzerhand für sie ein, „ist, dass wir beide gerne ein Paar wären und wollten dich fragen, ob du es uns ermöglichen könntest.“

„Was sollte ich denn dagegen haben? Ich freue mich für euch, sehr sogar.“

„Wirklich?“ Vera strahlte mich überglücklich an.

„Nun ja, du bist der Autor und sitzt gewissermaßen am längeren Hebel. Du kannst unser Leben entweder entscheidend verbessern oder zerstören“, wandte Felix ein.

„Ich würde doch nie eure Liebe zerstören“, erklärte ich geschockt. „Wenn ihr gerne ein Paar wärt, kann ich das gerne so in die Geschichte einbauen. Ich finde es toll, dass ihr euch selbst gefunden habt und mich nun fragt. Das zeigt, dass ihr auch ohne mich selbstständig gut zurecht kommt.“

„Das freut mich, dass du nichts dagegen hast, schließlich hast du Dina ihren Tiago geschenkt“, meinte Vera.

„Gut, Tiago habe ich von Anfang an geplant. Er war relevant für die Handlung, da er als Außenstehender helfen sollte. Dass Felix, der von Beginn an der Frisör war, irgendwann mit dir zusammen sein wird, hatte ich nicht geplant. Dennoch finde ich es eine schöne Entwicklung.“

Tatsächlich hatte ich mir schon überlegt, Vera und Felix zusammenzubringen, doch ganz sicher war ich mir nicht gewesen. Wenn sie jedoch von selbst zu mir kamen, war diese Sorge vergessen.

„Herrlich, jetzt ist Dina mit Tiago zusammen und ich habe meinen Felix.“ Vera guckte ihren Liebsten verträumt an. Dann fiel ihr noch etwas ein. „Und was ist mit Kim? Bekommt sie auch einen Freund?“

„Geplant war es jedenfalls, aber ich will aus dieser Geschichte kein Beziehungsdrama machen. Das ist nicht der Kern des Buches. Und du weißt selbst, dass Kim nicht ganz einfach ist. Da ist es auch nicht einfach, einen passenden Partner zu finden. Immerhin will hier niemanden quälen und nur, weil ich es so will, ihn zu einer Beziehung zwingen.“

„Kannst du Kim nicht etwas … lenken?“, überlegte Vera. „Ohne deine Eingriffe hätten wir uns ja auch nie kennengelernt. Nur durch deine Idee, uns zu Brieffreunden zu machen, ist unsere Freundschaft überhaupt erst entstanden. Ohne dich hätte ich nie erfahren, dass auch sie unter einer Variante des Haarfluchs litt.“

„Hm, du hast recht. Vielleicht kann ich sie etwas lenken, aber da ihr mittlerweile alle euer Eigenleben entwickelt habt, will ich da nicht mehr so stark eingreifen. Ich habe schon lange der Zeitpunkt erreicht, dass ich mehr oder weniger nur noch bei eurer Geschichte zuschaue und gewissermaßen mitschreibe. Viel erfinden muss ich nicht mehr. Ihr erlebt die Geschichte selbst und ich bin nur dabei, um es festzuhalten.“

„Eine interessante Sichtweise“, fand Felix. „Heißt das, wir sind alle erfunden? Bist du unser Schöpfer?“

„Prinzipiell schon, aber ich glaube nicht, dass ich euch in dieser Komplexität hätte erfinden können. Ich habe die Hülle geschaffen und das Leben eingehaucht, euren Charakter habt ihr letztlich alle selbst entwickelt. Da konnte und wollte ich nicht viel machen. Ich habe euch alle auch erst im Laufe der Geschichte richtig kennengelernt“, erklärte ich. Verglich ich meine Charaktere aus dem Buch nämlich mit dem Notizbuch, stellte ich fest, dass es eine lebendige Person war, die ich versucht hatte zu beschreiben. „Du wirst nicht glauben, wie viel ich über euch erfahren habe, sowohl Gutes als auch Schlechtes.“

„Ich hoffe, von mir nicht allzu viel Schlechtes?“, wollte Vera leicht unsicher wissen. „Kannst du wirklich alles sehen, was wir machen? Das wäre schon unheimlich.“

„Ich will dich nicht beunruhigen, aber ich kann nicht nur sehen, was du siehst. Ich kann deine Gedanken lesen, mit deinen Ohren hören, mit deinen Fingern tasten und deine Gefühle spüren. Einfach alles.“

„Krass!“ Mit weit aufgerissenen Augen glotzte sie mich an. „Echt krass!“

„Bei mir auch?“, hakte Felix nach.

„Nein, denn ich kann nur aus Veras, Dinas und Kims Augen sehen, da ich aus ihrer Sicht schreibe. Sie sind schließlich die Protagonisten.“

„Echt jetzt?“, empörte sich Vera.

„Hammer!“, stieß Felix vor Freude aus. „Endlich ist es mal nützlich, nicht der Prota zu sein. Habe ich ein Glück!“

„Na danke, wahrscheinlich kennst du nicht nur all meine Geheimnisse sondern auch mein Tagebuch“, klagte Vera. „Nein, sag es lieber nicht. Ich will es wissen“, unterbrach sie mich, ehe ich zu sprechen beginnen konnte. „Aber eine Sache interessiert mich: Du kannst ja aus meiner, Dinas und Kims Sicht schreiben.“

Zustimmend nickte ich.

„Wie fühlt es sich an, Kim zu sein. Bist du dann auch so durchgeknallt oder bist du noch immer du selbst?“

„Während ich eine von euch schreibe, bin ich diejenige. Also ja, in diesem Moment bin ich wohl wirklich so durchgeknallt wie Kim. Es macht mir sogar Spaß. Aber sobald ich in dich oder Dina schlüpfe …“

„Das klingt echt krank“, kommentierte Vera.

„… geht mir Kim gehörig auf den Sack. Ganz ehrlich. Aus eurer Perspektive ist Kim das reinste Nervenbündel. Vor allem bei Dina. Aber bin ich Kim, kenne ich ihre gesamte Vorgeschichte und kann sie besser verstehen. Dann mag ich sie sehr.“

„Ich mag Kim natürlich auch!“, verteidigte sich Vera.

„Ich weiß.“

„Schlüpfe jetzt bitte nicht in mich rein!“, flehte sie.

„Was? Das hatte ich nicht vor“, meinte ich.

„Ein Glück.“

„Und würde ich es machen, würdest du Selbstgespräche führen. Das wäre ziemlich langweilig“, erklärte ich ihr.

„Können wir bitte das Thema wechseln. Das wird mir zu viel“, meinte sie und schüttelte sich. „Die Vorstellung ist zu absurd!“

„Kann ich verstehen.“ Ich zwinkerte ihr zu. „Um ehrlich zu sein, ich wollte es auch nicht.“

„Vera, außerdem müssen wir weiter“, erinnerte Felix sie.

„Stimmt ja, wir haben noch einen Termin in der Stadt. Unser Anliegen bei dir haben wir ja zum Glück geklärt“, strahlte sie, dann eilte sie mit Felix, ihrem neuen Freund davon. Grinsend schaute ich ihnen hinterher. Was für ein tolles Paar, die beiden. Ja, daraus ließ sich etwas machen!

Es war immer aufregend, auf meine Charaktere zu treffen, die ihr ganz eigenes Leben führten, von dem ich ein Teil sein durfte und ab und zu in sie hineinschlüpfte. Ich musste auch zugeben, dass mich die Vorstellung verrückt machte, würde jemand in mir stecken und all meine Gefühle, Gedanken und einfach alles mitbekommen. Doch genau das tat ich mit Kim, Dina und Vera. Anders wäre es nicht möglich die Geschichte so nah zu erzählen. Ohne Gedanken wäre es nur halb so aufregend. Da war es umso besser, wenn sie mich ab und zu aufsuchten und mir ihre Sorgen und Wünsche mitteilten, die ich doch noch nicht wahrgenommen hatte. Denn selbst, wenn ich in ihnen steckte, alles bekam ich trotzdem nicht. Ein fremder Charakter war wie ein neuer Raum, den man erst erkunden musste. Und das brauchte eine gewisse Zeit, bis man sich darin zurechtfand. Immer wieder entdeckte ich neue Nischen und Ecken mit neuen Geschichten der Vergangenheit und unausgesprochenen Geheimnissen, die ich natürlich für mich behielt. Diese Art Charakter-Erkundung war wohl die aufregendste Variante, etwas über sie zu erfahren. Wie ein ganz eigenes Abenteuer.

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