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Vorstellungsgesprächsverspätung

Vera Sturm

Der unwahrscheinlichste Zufall trifft deine abgebrühteste Figur auf dem Weg zu einem wichtigen Gespräch.

„Kim, wir müssen los!“, machte ich ihr Druck. Wir mussten dringend zu einem Gespräch mit meinem Chef, den ich nur ungern warten ließ.

„Ich komme schon“, motzte sie, „nicht einmal schminken darf ich mich in Ruhe!“

„Ich habe nichts gegen Schminke, nur eben nicht jetzt, wenn wir in weniger als einer halben Stunde bei meinem Chef im Büro sitzen sollen! Außerdem geht es hier nicht um mich sondern um dich! Du wolltest den Job als Bloggerin. Nun hast du die Gelegenheit dazu und du kommst zu spät. Das macht einen ganz schlechten Eindruck.“

Ich könnte verzweifeln mit meiner Freundin. Bei Yannik, meinem Chef, hatte ich ihr einen möglichen Job als Bloggerin arrangiert. Er wollte sie sich anschauen und ihr eine Chance geben. Kamen wir jedoch direkt beim ersten Treffen zu spät, warf das nicht nur auf Kim ein schlechtes Licht.

„Ich bin fertig“, teilte sie mir endlich mit.

„Ausgezeichnet. Außerdem ist es nur ein Vorstellungsgespräch, du suchst nicht deinen Mann fürs Leben!“, erinnerte ich sie.

„Man kann nie wissen. Lieber gut vorbereitet und man brauch es nicht als schlecht vorbereitet und man hätte es gebraucht.“ Kim guckte mich aus ihrem geschminkten Gesicht an. Es schien mindestens hundert Gramm schwerer als zu vor zu sein.

Während wir über die Straße hetzten, fiel Kim immer weiter zurück. Kein Wunder – sie trug Stöckelschuhe. Kein vernünftiger Mensch konnte darin gut rennen.

„Was ist?“, stöhnte ich. „Sind deine Schuhe zu langsam?“

„Nein, ich will nur nicht verschwitzt und atemlos bei deinem Chef aufschlagen. Wenn ich mich hier abhetze, sehe ich aus wie nach einem Sturm. Nein, das brauche ich nicht. Ich will einen guten Eindruck machen.“ Kim verlangsamte ihr Tempo erneut.

„Das ist nicht dein Ernst!“, stutzte ich. „Du kommst zwar aufgedonnert wie eine Schaufensterpuppe an, dafür viel zu spät. Was macht das bitte für einen Eindruck?“

„Du hast recht!“, stimmte sie mir endlich zu und beschleunigte etwas. Und etwas war schon gutgemeint. Bis auf ein schnelleres klack-klack-klack ihrer Schuhe tat sich nichts.

„Kim?“

Wir drehten uns beide zeitgleich um. Da stand ein junger Kerl, kaum älter als zwanzig, und strahlte Kim mit seinen weißen Zähnen an.

„Du bist es tatsächlich“, freute er sich.

„Kennst du den?“, wunderte ich mich.

„Nein. Kennen wir uns?“, wandte sie sich nun an den Jungen.

„Ich habe dein Lied im Radio gehört. Ich bin dein größter Fan!“, erklärte er überglücklich.

„Wirklich?“ Das Grinsen auf Kims Gesicht wurde immer breiter.

„Darf ich ein Selfie mit dir machen?“, erkundigte sich ihr Fan.

„Sehr gerne“, entgegnete ich. „Hast du ein Glück, dass ich heute so gut aussehe.“ Sie tippelte zu ihrem Fan, der bereits sein Handy zückte, und legte ihren Arm über seine Schulter. Dann grinste sie in die Kamera, als sei es ein Fotoshooting für die Queen persönlich.

„Vielen Dank, du hast meinen Tag zum schönsten Tag in meinem Leben gemacht“, erklärte der Junge. Sein Lächeln passte kaum mehr auf sein Gesicht.

„Das macht mich genauso glücklich“, meinte Kim und verabschiedete sich von ihm. „Siehst du, Vera? Ein Glück, dass ich mich so schick gemacht habe. Ich bin zwar nicht auf Mann-Suche, aber ich habe meinem Fan einen wunderschönen Tag beschert. Das ist doch unglaublich!“

„Unglaublich, du sagst es. Unglaublich, dass du so viel Zeit vertrödeln kannst. In fünf Minuten müssen wir vor der Bürotür meines Chefs stehen. Mit deinem Getippel kommen wir kaum voran. Kim, leg einen Zahn zu!“, ermahnte ich sie. „Willst du den Job?“

„Sicher will ich ihn!“

„Dann strenge dich an und sorge dafür, dass du bei Yannik einen guten Eindruck machst. Dein Fan mag dich auch ungeschminkt“, redete ich ihr ins Gewissen.

Erst da fiel mir auf, was ich gerade gesagt hatte. Kim, die im Zuge eines Gedicht-Wettbewerbes ihr erstes Lied veröffentlichen durfte, hatte Fans. Das war unglaublich toll! Ich gönnte es ihr von Herzen, dass sie damit erfolgreich war. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass es meinem Chef egal sein würde, wie viele Lieder sie veröffentlicht hatte. Kim musste bei ihm einen guten Eindruck hinterlassen und gegen andere Bewerber – gab es eigentlich welche? – bestehen.

„Hallo, ich bin Kim Possible und möchte gerne bei Ihnen als Bloggerin anfangen. Ich liebe das Schreiben, allerdings auf Englisch, da ich deutsche Texte nicht fehlerfrei schreiben kann“, übte sie ihre Vorstellung.

„Das sagst du lieber nicht“, riet ich ihr. „Du solltest deine Stärken klar hervorheben und die Schwächen höchstens andeuten. Wenn du explizit danach gefragt wirst, musst du es natürlich sagen. Aber nicht sofort von dir aus. Verschweigen solltest du es allerdings auch nicht, nur beschönigen.“

„Wie meinst du das?“

„Na, du sagst, dass du englische Muttersprachlerin bist und bereits viele Texte verfasst hast. Deutsch zu schreiben, fällt dir noch etwas schwer, aber du hast schon viele Fortschritte gemacht“, überlegte ich. „Nein, du sagst, du bist gut in Deutsch.“

„Gut?“, wunderte sich Kim.

„Ja, nicht sehr gut, aber gut. Also eine 2, würde ich es in Noten ausdrücken.“

„Ah, das kommt hin“, bestätigte sie. „Glücklicherweise gibt es Rechtschreibkorrekturen auf dem Computer. Nur manche Grammatikfehler fallen mir noch nicht auf.“

„Dabei kann ich dir auch gerne helfen“, versicherte ich ihr. „Kim, du packst das. Außerdem bin ich ja mit dabei. Ich bin stolz, dich als Freundin zu haben.“

„Danke, das ist echt lieb von dir.“ Sie umarmte mich. „Ich bin auch froh, dich zu haben.“

„Dann los, wir sind da. Wir haben noch eine Minute. Puh, hast du einen Dusel!“ Erleichtert lachte ich auf.

In dem Moment, als Kim an die Bürotür klopfte, schlug die Uhr auf zehn Uhr um. Wir waren gerade noch pünktlich angekommen.

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