~ Weihnachtsgeschichte aus: „Der Ruf der Grizzlybären 02: Neue Freunde“
Es war einmal ein kleiner Grizzlybär, der hatte einen großen Wunsch. Dieser Wunsch war so groß, dass er jede Nacht davon träumte und er sich nichts sehnlicher wünschte. Morgens saß er da und dachte an seinen Wunsch. Mittags lief er umher und dachte an seinen Wunsch. Abends kehrte er zu seiner Höhle zurück – und dachte unentwegt an seinen Wunsch. Nachts träumte er von seinem Wunsch. Er wünschte sich, dass er einmal mit dem Weihnachtsbären Geschenke verteilen dürfe, um anderen kleinen Tieren eine Freude zu bereiten. Mehr wollte er nicht.
Dieser kleine Grizzlybär war ein herzensgutes Geschöpf und tat niemandem etwas Böses. Er teilte sein Fressen mit seinen Geschwistern und spielte mit ihnen glücklich im Wald.
Doch eines Tages – es war Winter und der Schnee lag sehr hoch – gingen die Vorräte zur Neige, und der kleine tapfere Grizzlybär gab seine eigene kleine Portion an seinen kleinsten Bruder ab. Sonst wäre dieser gestorben. Er war noch nicht stark genug, um allein durch den Winter zu kommen. So hatte der Grizzlybär – er hieß Schnuppe – nichts mehr zu fressen und musste hungern. Aber das tat er sehr gern, denn er liebte seinen kleinen Bruder über alles und wollte für ihn nur das Beste. Er liebte seine Geschwister mehr als sich selbst. Als dann alle anderen Bären in die Winterruhe fielen und einigermaßen genährt waren, um den Winter gut zu überstehen, war Schnuppe der Einzige, der noch Hunger hatte und nicht schlafen konnte. Also lief er aus der warmen Höhle hinaus und wollte sich etwas zu fressen suchen. Sonst wäre es sein sicherer Tod gewesen. So lief Schnuppe durch den Wald und suchte nach Wurzeln und Beeren, die vielleicht die Kälte bis jetzt noch überlebt hatten, doch er hatte kein Glück. Der Schnee hatte alles bedeckt und nichts war zu sehen. Er lief immer tiefer in den Wald. Ohne Erfolg scharrte er immer wieder kleine Löcher und suchte verzweifelt nach etwas Essbarem. Sein selbstloses Handeln schien ihm letztendlich zum Verhängnis zu werden. Ohne Futter würde er sterben, da halfen auch seine guten Taten nicht.
Als er lange Zeit vergebens suchte, beschloss er, nach Hause zu gehen, damit er nicht erfror. Im schlimmsten Fall würde auch Erde seinen Hunger stillen. Wenn er etwas gefrorenen Waldboden ins Warme brachte, müsste es gehen. Er wollte seinen Spuren folgen, doch sie waren bereits mit Neuschnee bedeckt. Der starke Schneefall hatte ihm den Rückweg verwischt und so fand er nicht mehr zurück. Ihm war mittlerweile schrecklich kalt. Schon fast erfroren, entkräftet und hungrig brach er unter einer großen Tanne zusammen. Dort blieb er liegen. Er wusste nicht mehr, wo er hätte hingehen können. Sein Magen knurrte und er zitterte am ganzen Leib. Verzweifelt versuchte er, sich an die schönen Momente in seinem Leben zu erinnern, um sich abzulenken, doch das half nichts. Seine Gedanken schweiften immer wieder kurz ab, doch der Hunger war nicht zu vergessen. Und wie er da so lag, hörte er plötzlich ein leises Hämmern, das ganz aus der Nähe zu kommen schien. Es war zwar leise, dennoch gut hörbar. Als er den Kopf hob, fiel ihm auf, dass er vor dem Eingang eines Baus lag. Schnuppe stand auf und lugte vorsichtig hinein. Aus dem Inneren kamen weitere Geräusche, doch kurz darauf verstummten sie. Es war mucksmäuschenstill. Dann vernahm er leise Schritte. Ein aufgebrachter Waschbär kroch aus dem Bau heraus.
„Du drückst den ganzen Schnee in mein Zuhause!“, wetterte er. „Es … es tut mir schrecklich leid. Das wollte ich wirklich nicht“, versicherte Schnuppe schnell, was auch die Wahrheit war. Er wollte niemandem schaden. Der Waschbär besah sich den jungen Bären genau, dann hellte sich seine bis dahin grimmige Miene schlagartig auf. Mit freundlicher Stimme fragte er: „Bist du nicht Schnuppe? Du hast meiner Tochter letzten Frühling das Leben gerettet, als sie in eine Flut aus Schmelzwasser geraten ist.“ Schnuppe nickte zustimmend. „Kann ich als Zeichen meiner Dankbarkeit irgendetwas für dich tun?“, erkundigte sich der Waschbär. „Ich will dir nicht zur Last fallen. Du hast wahrscheinlich selbst nicht genug zu fressen. Wenn ich mich nur kurz bei dir aufwärmen und ein wenig schlafen könnte, wäre mir schon genug geholfen. Dafür wäre ich dir ewig dankbar.“ „Sei nicht so bescheiden. Du bist der Lebensretter meiner Tochter. Wir Waschbären sammeln immer das ganze Jahr über Fressen, das in unseren Höhlen lagert. Du kannst gern etwas davon abhaben. Damit kann ich mich bei dir bedanken“, bot er an.
Schnuppe nahm dieses Angebot dankend an. Er war froh, eine rettende Unterkunft gefunden zu haben. Länger hätte er in dieser Kälte nicht durchgehalten. Der Waschbär verschwand kurz in einem Nebengang, dann kam er vollgepackt zurück. Sämtliche Beeren und Kräuter lud er neben Schnuppe ab, bei deren Anblick ihm schon das Wasser im Maul zusammenlief. Fleisch hatte er keines, denn keinem Tier stand es zu, ein anderes zu fressen. Dafür setzte sich Santa Tatze ein. „Du musst wissen“, erklärte der Waschbär, „ich bin der Weihnachtsbär und verteile Nüsse und andere Kleinigkeiten an die Waldtiere. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich nicht genug Nahrung gesammelt hätte. Für genau diese Fälle bin ich da. Kein Tier soll im Winter hungern.“ Als Schnuppe das hörte, fiel ihm das Fressen aus dem Maul und er glotzte den Waschbären sprachlos an. „D-du bist der Weihnachtsbär? Du bist Santa Tatze?“ „So wahr ich vor dir stehe!“ Er grinste breit. „Lieber Santa, ich habe eine Bitte an dich“, brachte Schnuppe schüchtern hervor. „Und die wäre?“ Die Freundlichkeit und Wärme in Santas Stimme schien auf Schnuppes Körper überzugehen und ihn von innen zu wärmen. „Mein größter Wunsch ist es, Santa Tatze beim Verteilen der Geschenke an die Waldtiere zu helfen.“
„Das ist wahrhaftig sehr nett. Du wärst mir eine große Hilfe“, fand der Waschbär.
Schnuppe konnte sein Glück kaum fassen. Er durfte Santa Tatze tatsächlich helfen. Er hatte sich ihn also nicht nur eingebildet, Santa Tatze gab es wirklich. Er stand direkt vor ihm.
„Mein lieber Schnuppe, wie du sicherlich weißt, habe ich die Mäuse, Raupen, Vögel und Schmetterlinge gebeten, mir von den Tieren zu erzählen. Wie jedes Jahr schreibe ich mir eine Liste mit artigen und unartigen Tieren. Du hast immer nur Gutes getan und nie jemanden geärgert. Deinem jüngsten Bruder hast du deine letzte Mahlzeit überlassen und du hilfst den anderen Tieren, wo du nur kannst. Du stehst bei mir – wie jedes Jahr – auf meiner Artig-Liste an erster Stelle. Es wäre mir eine große Ehre, wenn gerade du mich begleitest. Ich weiß auch, dass es dein größter Wunsch ist. Und wann erfüllen sich Wünsche besser als an Weihnachten?“ Verschwörerisch blinzelte er dem kleinen Grizzlybären zu, dessen Herz rein und offen für alle Tiere war. Dieser junge Bär war genau der Richtige, den er schon lange gesucht hatte – nun hatte er ihn gefunden.
„Die kleinen Tiere haben wirklich alles gesehen?“, staunte Schnuppe.
„Sie sind überall. Ihre Augen und Ohren sehen und hören alles.“
So durfte Schnuppe mit dem Weihnachtsbären Santa Tatze Geschenke an die Tiere des Waldes verteilen und wurde als Gehilfe von Santa Tatze von nun an Santa Tätzchen genannt. Mit der Zeit wurde auch der kleine Bär Schnuppe überall bekannt und alle Tiere liebten ihn. Die Erwachsenen erzählten ihren Kindern Geschichten über ihn. Santa Tatze verteilte viele Jahre lang mit der treuen Hilfe von Schnuppe – Santa Tätzchen – Geschenke an die großen und kleinen Tiere des Waldes. Schnuppe begann, sich um die Artig- und die Unartig-Liste zu kümmern. Er schrieb auch die Listen, in denen festgelegt wurde, welches Tier was und wie viel bekommen sollte. Allerdings schummelte er ab und zu ein paar Tiere von der Unartig-Liste auf die Artig-Liste, da sie ihm leidtaten. Santa Tatze sagte dann immer nur: „Schnuppe, dein Herz ist einfach viel zu groß für dich kleinen Kerl.“ Das machte Schnuppe natürlich sehr stolz. Nun war der alte Santa Tatze ein allerletztes Mal am Weihnachtsfest der Weihnachtsbären, das immer nach Weihnachten gefeiert wurde, dabei. Er ernannte Santa Tätzchen zum neuen Santa Tatze. Schnuppe wusste nicht, was er sagen sollte. Er war überwältigt vor Freude, diese ehrenvolle Aufgabe des Santa Tatze zu übernehmen. Aber er wusste auch, dass er den alten Santa Tatze nie wieder sah. Wurde ein Weihnachtsbär zu alt und zu langsam für seine Arbeit, ernannte dieser einen Nachfolger und zog sich zum ewigen Frieden in seine Höhle zurück. So war es Brauch unter den Weihnachtsbären und auch dieser Santa Tatze wollte nichts daran ändern. Er hätte die Möglichkeit dazu gehabt, denn er konnte die Regeln und Bräuche so ändern, wie er es für richtig hielt.
Dennoch war Schnuppe, der jetzt Santa Tatze war, der glücklichste Bär von allen und nahm seine Aufgabe sehr ernst. Zusammen mit den anderen Weihnachtsbären, von denen jeder einem anderen Wald zugeordnet war, feierte er noch drei volle Tage. Dieses Fest würde sich für ihn genau dreißigmal wiederholen, bis auch er seinen Nachfolger ernannte und selbst in den Ruhestand ging. Seinen Geschwistern brachte er jedes Jahr eine besondere Überraschung, um zu beweisen, dass es Santa Tatze wirklich gab. Denn Glaube ist in solchen Zeiten weitaus mächtiger als Wissen. Sie hatten ihn seit dem Winter seines Verschwindens nicht mehr gesehen. Die Mutter befürchtete, dass ihr geliebter Sohn nicht überlebt hatte, doch die alljährlichen Geschenke machten ihr Hoffnung. Und wenn Schnuppe, der tapfere Santa Tatze, nicht bereits einen neuen Weihnachtsbären ernannt hat, dann verteilt er noch heute glücklich und zufrieden die Geschenke und sucht sich vielleicht schon einen Gehilfen, der auch ihn irgendwann einmal ablösen wird.
Frohe und besinnliche Weihnachten
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