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Blabbling shopping cart

Kim Posse

Deine beiden besten Freundinnen kaufen für ihr Lieblingsessen ein. Plötzlich fängt der Wagen an zu sprechen und kommentiert die Einkäufe.

„Einkaufen ist so anstrengend.“ Seufzend warf ich einen weiteren Blick auf den viel zu langen Einkaufszettel, den mir meine WG-Mitbewohnerinnen geschrieben hatten, und schob den sperrigen Einkaufswagen durch die engen Gänge. Schon mehrfach war ich an den Regalen hängen geblieben, da ich die Kurve nicht bekommen hatte.

„Jetzt stell dich nicht so an!“, wies mich Vera bestimmt zurecht. Sie hatte sich glücklicherweise erbarmt, mich zu begleiten. Ihr schien Einkaufen nichts auszumachen. „Ich kaufe auch nicht gerne ein, aber es muss sein. Vor allem zur Adventszeit.“

Okay, sie mochte es auch nicht. Nun gut, aber dafür ließ sie es sich nicht so anmerken. Mir konnte man es meilenweit ansehen, dass ich gerade tausend andere Orte wusste, an denen ich lieber wäre als in einem Supermarkt, durch dessen Gänge ich diesen drahtigen Wagen schieben musste.

Als Nächstes stand auf dem Zettel Mehl. Als wir den Gang in diesem entsetzlichen Labyrinth endlich gefunden hatten, griff ich blindlings nach einer Packung und wuchtete das Päckchen in den Wagen, der ein leichtes Seufzen von sich gab. Verständlich.

Ist das Mehl auch glutenfrei?, wollte da eine Stimme wissen.

„Woher soll ich das wissen?“, maulte ich direkt.

„Woher sollst du was wissen?“ Verdattert blickte mich Vera an. Sie hatte lediglich einen kleinen Einkaufskorb dabei, den sie über ihren Unterarm gehängt hatte.

„Ob das Mehl glutenfrei ist“, wiederholte ich die Frage.

„Hat jemand von euch eine Glutenunverträglichkeit?“

„Nicht dass ich wüsste.“ Angestrengt dachte ich nach, doch weder Lisa noch Mara litten unter einer Intoleranz. Ich war die einzige in unserer WG mit Sonderansprüchen: Ich war Vegetarierin.

„Und wieso brauchst du es dann glutenfrei? Glutenfreies Mehl ist zwar sinnvoll für jemanden mit einer Unverträglichkeit, aber für den normalen Gebrauch solltest du es nicht benutzen. Der Geschmack ist ein ganz anderer.“

Wie auch immer. Schulterzuckend schob ich den sperrigen Wagen weiter in die Milch-Abteilung. Die Packung Milch wuchtete ich direkt neben das Mehl.

Ist die Milch auch laktosefrei?, war wieder diese Stimme zu hören.

„Nein!“, gab ich genervt von mir. „Die Milch ist nicht laktosefrei, weil nämlich keiner aus unserer WG eine Unverträglichkeit hat.“

„Kim, alles gut, du brauchst dich nicht rechtfertigen, was du einkaufst.“ Veras Einkaufskorb war bereits zur Hälfte gefüllt und sie lief mir wohl nur aus Gefälligkeit durch den gesamten Einkaufsladen hinterher.

Darauf ging ich lieber nicht ein, um eine weitere Diskussion zu vermeiden.

Meine Finger zitterten, als ich das Päckchen Eier in den Einkaufswagen legte. Augenblicklich war wieder diese Stimme da: Sind die Eier auch Bio?

„Ja, die Eier sind Bio!“, fauchte ich.

„Schon gut, es hat niemand etwas gesagt. Du kannst auch Eier aus Käfighaltung nehmen, wenn dir die Bio-Eier zu teuer sind.“ Ich konnte Vera genau ansehen, dass sie nicht sagte, was sie dachte.

„Was denkst du von mir? Das ist Tierquälerei. Ich esse kein Fleisch mehr, um Tiere zu schützen, dann kaufe ich gewiss nicht Eier aus der schlechtesten Haltungsform!“

„Schon gut, wie viel fehlt denn noch?“ Ungeduldig warf Vera einen Blick auf meinen Einkaufszettel. Ihr entfuhr ein „Oje“, bevor sie meinen Wagen in den nächsten Gang dirigierte … zur Schokolade.

Ist die Schokolade auch fair trade und vegan? Direkt ein doppelter Anspruch!

„Ja, die Schokolade ist fair trade und vegan! Ab sechzig Prozent Kakaoanteil ist Schokolade immer vegan, da kein Magermilchpulver enthalten ist!“ Ich raufte mir die Haare. „Und wer zum Henker nervt mich hier die ganze Zeit?“

Mit großen Augen guckte mich Vera an. „Alles in Ordnung bei dir?“

„Nein, ganz und gar nicht! Da kommentiert jemand pausenlos meinen Einkauf!“

„Du rechtfertigst pausenlos deinen Einkauf“, berichtigte mich Vera überfordert.

„Keine Ahnung, wer das ist.“ Ich war am Rande der Verzweiflung. „Wer ist hier?“

Du schiebst mich die ganze Zeit herum, rammst mit mir die Regale und lässt mich alles schleppen!, beschwerte sich die Stimme.

„Ich … jetzt werde ich wirklich verrückt.“

„Wieso?“ Vera legte den Kopf schief.

„Der Einkaufswagen … er spricht.“

Die Einkäuferin … sie spricht, sagte der Einkaufswagen ebenso verblüfft, als wäre es etwas Außergewöhnliches.

„Was?“ Vera sah mich an, als würde ich wie ein Huhn in Bodenhaltung durch den Supermarkt hüpfen und dabei gackern. Sie legte ihre Stirn in tiefe Falten, während ich den Einkaufswagen perplex anstarrte.

„Hast du das nicht gehört?“ Ich deutete auf den sperrigen Drahtkorb, der unschuldig auf seinen klappernden Rädern stand, als wäre nichts gewesen.

„Gehört? Kim, du redest mit einem Einkaufswagen.“ Vera verschränkte die Arme vor der Brust, eine Mischung aus Belustigung und Sorge in ihren Augen.

„Er spricht mit mir!“ Ich trat einen Schritt zurück, als würde Abstand die Situation entschärfen. Doch die Stimme war wieder da, schwingend wie ein leicht genervtes Echo.

Und ich kann hören, dass du mich die ganze Zeit schlecht behandelst. Deine Kurventechnik? Katastrophal. Deine Beladung? Rücksichtslos. Und jetzt sprichst du auch noch über mich, als wäre ich nicht hier! Der Einkaufswagen – oder was auch immer ihn besessen hatte – klang beleidigt.

„Ich … du … wie?“, stammelte ich.

Vera entfuhr ein Lachen. „Okay, Kim. Entweder du hast nicht genug geschlafen, oder das ist der seltsamste Tag meines Lebens. Aber ich würde dir raten, weniger Kaffee zu trinken.“

„Ich trinke gar keinen Kaffee!“, fauchte ich zurück, bevor ich wieder auf den Wagen zeigte. „Sag ihr, dass ich mir das nicht einbilde!“

Wieso sollte ich mit jemandem sprechen, der mich ständig ignoriert? Der Wagen klang regelrecht schnippisch. Du redest ja nicht mal nett mit mir!

„Nett … mit einem Einkaufswagen?“ Meine Stimme überschlug sich beinahe.

Vera hielt sich inzwischen den Bauch vor Lachen und musste sich an einem Regal abstützen. „Kim, ich kann nicht mehr!“, keuchte sie zwischen zwei Lachanfällen. „Das ist der beste Einkaufsbummel meines Lebens. Ich sollte öfters mit dir einkaufen.“

„Ich weiß nicht, was hier los ist, aber ich bin nicht verrückt!“ Ich packte die Stange des Wagens und rüttelte daran, als würde das irgendetwas erklären.

Au! Hör auf, so grob zu sein!, jammerte die Stimme, und ich ließ die Stange los, als hätte ich mich verbrannt. Du bist wirklich eine der anstrengendsten Kundinnen, die ich je erlebt habe.

„Wie kannst du überhaupt sprechen?“, fragte ich schließlich, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich die Antwort hören wollte.

Pff, ich bin kein gewöhnlicher Einkaufswagen, erklärte der Wagen. Ich wurde entwickelt, um das Einkaufserlebnis zu verbessern. Aber ehrlich? Ihr Menschen macht es mir nicht gerade leicht.

„Das ist … total absurd.“ Ich rieb mir die Schläfen und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Vera kicherte immer noch und schüttelte nur den Kopf.

Absurd? Ich bin der Prototyp eines KI-gesteuerten Einkaufsassistenten! Der Wagen klang beleidigt. Eigentlich sollte ich dir dabei helfen, die besten Produkte zu finden, aber du hörst ja nicht mal auf meine Tipps.

„Ach, und die Tipps wären …?“, fragte ich trocken.

Mehl aus nachhaltigem Anbau. Milch, die gut für die Umwelt ist. Und Eier, die den Hühnern nicht das Leben zur Hölle machen. Aber du ignorierst mich einfach! Der Einkaufswagen schien sich regelrecht aufzuregen.

„Kim, bitte hör auf, mit dem Wagen zu reden“, zischte Vera, während sie versuchte, wieder ernst zu werden. „Die Leute gucken schon.“

Ich schaute mich um und bemerkte tatsächlich ein paar neugierige Blicke von anderen Kunden. Großartig, jetzt hielten mich alle für verrückt.

„Gut, und was schlägst du vor?“, fragte ich resigniert, an den Wagen gewandt.

Danke, dass du fragst! Er klang plötzlich zufrieden. Nimm das Bio-Mehl, die laktosefreie Milch und die Schokolade mit Fair-Trade-Siegel. Es ist besser für alle – dich, die Umwelt und die Tiere.

„Das kann doch nicht wahr sein“, murmelte ich, während Vera die Szene immer noch mit unverhohlener Belustigung verfolgte.

„Kim, wenn du anfängst, auf ihn zu hören, bringe ich dich höchstpersönlich in die Notaufnahme.“

„Vielleicht wäre das besser“, gab ich mit zusammengebissenen Zähnen von mir, während ich den Einkaufswagen widerwillig in den Gang mit den Bio-Produkten schob. Offensichtlich hatte ich keine andere Wahl, als diese absurde Situation bis zum Ende durchzustehen.

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