Carrot cream soup
Kim Posse
Zum Jahresende fordern deine Charaktere lautstark die Fortsetzung einer deiner Protastiken. Welche ist es und was passiert?
Carrot cream soup
„Was meinst du mit: ‚Von vorne anfangen‘?“, fragte ich den Löffel entsetzt. „Ich hab nicht mal mehr genug Zutaten!“
„Dann improvisiere!“, erklärte Lollipop, als sei das die einfachste Lösung der Welt.
„Improvisieren? Mit was denn? Salz und Leitungswasser?“ Ich konnte mir schon lebhaft vorstellen, wie dieses Gemisch schmecken würde.
„Du hast bestimmt noch irgendetwas Essbares im Kühlschrank. Schau nach!“, forderte er mich auf und hüpfte aus meiner Hand auf die Arbeitsplatte.
Ich öffnete den Kühlschrank und fand … fast nichts. Ein paar Karotten, eine halbe Packung Frischkäse und etwas Milch.
„Das reicht doch!“ Lollipop hatte sich inzwischen auf einen Stapel Kochbücher geschwungen, von wo aus er alles überblicken konnte. „Mach eine Karottencremesuppe!“
„Ich habe keine Gewürze!“, hielt ich ihm entgegen.
„Dann wird es eben minimalistisch. Denk dran: Weniger ist manchmal mehr.“
„Lollipop, du bist nicht gerade hilfreich. Erzähl das mal den hungerleidenden Kindern in armen Ländern!“
„Entschuldigung, wer hat hier die Suppe versalzen?“, erwiderte er schnippisch.
Mit einem genervten Seufzen begann ich, die Karotten zu schälen. Lollipop kommentierte jede meiner Bewegungen.
„Nicht so grob! Karotten sind empfindlich!“
Das hatte er doch erfunden, eindeutig!
„Vorsicht! Beachte den Tunnel- und Krallengriff, du könntest dich schneiden! Ein sicheres und hygienisches Arbeiten in der Küche ist das A und O. Lege die Karotte auf ein Schneidebrett und schäle von dir weg, so kann dir nichts passieren.“
Leider hatte er in der Hinsicht recht, nur war es umständlicher denn je, nach seinen Vorgaben die Karotten zu schälen – fast schon unmöglich. Als die Prozedur des Schälens endlich unter Lollipops strenger Kritik überstanden war, zog ich ein Messer aus der Schublade und hoffte inständig, dass es nicht auch noch zu sprechen begann. Allerdings brauchte es das gar nicht. Der Löffel zeigte vollen Einsatz.
„Du könntest ruhig etwas mehr Liebe in dein Schneiden legen.“
Hingebungsvoll schnitt ich eine weitere Scheibe ab und summte sogar dabei. Sanft hauchte ich „Schnipp“, um es ihm möglichst recht zu machen. Doch wie erwartet, passte es dennoch nicht.
„Das Stück ist zu dick! Willst du uns alle umbringen?“
„Lollipop, wenn du nicht bald still bist, landest du als Deko an der Wand!“, fauchte ich. „Dann war es dein letztes Mal, dass du in der Suppe warst.“
Er verstummte – zumindest für einen Moment. Als ich die Karotten schließlich gekocht und püriert hatte, rührte ich den Frischkäse ein und probierte vorsichtig.
„Hm … das schmeckt tatsächlich nicht schlecht“, murmelte ich überrascht.
„Natürlich nicht! Ich hab dir ja geholfen“, erklärte Lollipop triumphierend.
„Du hast nichts gemacht außer zu reden.“
„Manchmal reicht guter Rat.“
„Oder du hattest einfach Glück.“
Ich wollte gerade den Tisch decken, als die Wohnungstür aufging und Lisa und Mara hereinkamen.
„Was riecht denn hier so gut?“, fragte Lisa und schnupperte neugierig.
„Kim hat gekocht“, erklärte Lollipop laut.
Beide starrten den Löffel an.
„Habt ihr das gehört?“, fragte Lisa mit weit aufgerissenen Augen.
„Nein“, log ich schnell und griff nach Lollipop. „Ihr seid bestimmt nur müde.“
Ich steckte ihn heimlich in die Schublade, wo er wütend protestierte: „Du kannst mich hier nicht einsperren!“
„Doch, kann ich. Und jetzt sei still!“, zischte ich. Unschuldig lächelnd wandte ich mich an meine beiden Mitbewohnerinnen: „Lasst uns essen. Ich hab Karottencremesuppe gemacht.“
„Mhh, das klingt lecker“, sagte Mara, aber sie warf der Schublade einen misstrauischen Blick zu.
Während wir am Tisch saßen und die Suppe genossen, klang aus der Schublade ein leises „Unverschämtheit!“, das ich mit großer Genugtuung ignorierte. Das Lob gehörte ganz mir, das wollte ich mir unter keinen Umständen nehmen lassen.
„Die Suppe ist großartig, aber wolltest du nicht die Kartoffeln verwenden?“, überlegte Lisa. „Die liegen schon ein paar Tage im Kühlschrank und müssen dringend weg.“
„Die Kartoffeln!“, stieß ich erschrocken aus. „Sie …“ Verzweifelt suchte ich nach einer passenden Ausrede, um nichts von meinem vorigen Koch-Unfall berichten zu müssen. „Sie waren leider schon schlecht, ich habe die direkt weggeworfen. Nicht, dass wir uns den Magen verderben. Und bevor du etwas sagst: Ja, ich bin auch gegen Lebensmittelverschwendung, aber bevor wir uns den Magen verderben, ist es besser so.“
Lisa nickte langsam. „Da wirst du wohl recht haben.“
„Wie auch immer, die Suppe ist köstlich“, lobte mich Mara. „Woher hast du das Rezept?“
„Das Rezept?“ Mir entfuhr ein verzweifeltes Lachen. Ja, woher hatte ich das Rezept? „Das … habe ich mir ausgedacht“, sagte ich stockend und steckte mir schnell einen weiteren Löffel in den Mund. „Improvisiert, weißt du?“ Bevor Mara noch weiter nachfragen konnte, schöpfte ich ihr noch eine Portion nach, obwohl sie noch reichlich Suppe im Teller hatte. „Hier, nimm noch, solange sie heiß ist.“
„Kim, danke, ich habe noch.“ Eilig zog sie ihren Teller beiseite, stieß dabei an ihren Löffel, der scheppernd zu Boden fiel, und zu allem Übel landete der Rest der Kelle auf dem Tisch.
„Na super“, seufzte ich.
„Ach, alles gut“, beschwichtigte Lisa uns. Sie stand auf und verschwand in der Küche, noch bevor ich reagieren konnte. Mit einem Geschirrtuch beseitigte sie das Chaos.
„Danke, Lisa. Bringst du mir bitte einen neuen Esslöffel mit?“, bat Mara und Lisa nickte.
„Nein, das kann ich doch machen“, schrie ich erschrocken auf, doch Lisa war bereits wieder in der Küche verschwunden.
Die Besteckschublade klapperte, dann ertönte eine aufgebrachte Stimme: „Glaubt ihr kein Wort, ich habe die Suppe gemacht!“
Entsetzt blickten Mara und ich uns an.
„Wer … wer war das?“, wollte sie wissen?
„Du wirst dich verhört haben, sagte ich schnell und strich mir nervös eine Strähne aus dem Gesicht.
„Nein, ich habe es ganz deutlich gehört!“, bestand Mara darauf und lief ebenfalls in die Küche. Schnell folgte ich ihr.
Dort stand Lisa mit einem Esslöffel – mit Lollipop! – in der Hand und starrte ihn mit großen Augen an, während dieser nicht mehr zu plappern aufhörte.
„Ich habe die Karottencremesuppe kreiert, Kim hat das andere Rezept völlig versaut, diese Blamage von Köchin!“, empörte sich der Löffel. „Und nun gibt sie mein Werk als ihres aus! Unfassbar!“ Lollipop wurde immer lauter.
Ich seufzte schwer. Nun war alles aufgeflogen!