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Kim Posse

Dein kreativster Charakter übernimmt deinen Account am Protastiktag. Was werden wir erleben?

Listig rieb ich mir die Hände. Da lag sein Handy. Entsperrt. Das musste ich mir zu Nutze machen! Heimlich schnappte ich es mir und verzog mich damit in ein ruhiges Plätzchen.

Erst einmal eine Story.

Ich machte mir die Haare zurecht und lächelte in die Kamera. Darunter schrieb ich: Kim ist meine allerbeste Buchfigur, die ich jemals hatte und haben werde. Perfekt, so gefiel mir das!

Gelangweilt scrollte ich durch sein Feed, das mir nicht so wirklich zusagte. Ich hätte das von Grund auf anders aufgebaut.

Erst einmal archivierte ich den Großteil seiner Beiträge über diese Grizzly-Bücher. Wer brauchte das schon? Das waren Kinderbücher! Dann noch einige dieser Hashtag-Beiträge, die nicht von mir handelten. So gefiel mir das schon deutlich besser. Jetzt lag der Fokus mehr bei mir und jeder sollte schließlich sehen, dass ich sein Liebling war.

Da ploppte eine Nachricht auf. Ich klicke darauf. Sie war von gorgan_camelot. Wer sollte denn das sein? Ah, da fiel es mir wieder ein. Sie schrieb gemeinsam mit Niklas dieses Gemeinschaftsprojekt, in dem sie sich über mich lustig machten. Pah, jetzt sollten sie mal sehen, was sie davon hatten!

„Hast du Lust, heute weiterzuschreiben?“, hatte gorgan_camelot geschrieben. Die meinte wohl eher weiter quälen!

„Nein. Und wenn ich ehrlich bin, sollten wir dieses Projekt an den Nagel hängen. Ich finde es wirklich fies, die arme Kim so bloßzustellen. Das hat sie absolut nicht verdient. Kim ist die herzlichste Person, über die ich je geschrieben habe. Nein, ich will keinen einzigen Satz mehr schreiben, in dem sie nur annähernd schief angeschaut wird. Und dir verbiete ich das auch!“, tippte ich – mit dem Mittelfinger. Und abgeschickt! Ha, da würde sie Augen machen. So ließ ich nicht mit mir umspringen.

Gelesen. Sie schrieb.

„Aha, als ob. Du bist wohl gerade schon zu sehr in deiner Rolle als Kim“, hatte sie geschrieben.

Äh nein, ich war Kim!

„Ja“, antwortete ich und schickte einen lachenden Smiley hinterher. Schließlich sollte sie es nicht durchschauen. Ich fand, dass ich meine Sache ziemlich gut und glaubwürdig machte. Da kam sicher niemand dahinter … Ich spürte, wie ein schurkenhaftes Lachen in mir aufstieg und rasselnd meine Kehle verließ.

Erst einmal noch eine Story. Seit der letzten Lobeshymne an mich waren schließlich schon mehr als zehn Minuten vergangen.

Selfie. Kim ist einfach die Beste! Abgeschickt.

Wieder eine Nachricht von gorgan_camelot. Die war ja sturer als erwartet. „Also langsam habe ich das Gefühl, dass du besessen bist. Spukt Kim gerade in deinem Kopf herum oder was ist in dich gefahren?“

Oje, jetzt wurde es brenzlig. Ich beschloss, eine Sprachnachricht aufzunehmen, um sie zu überzeugen. Ich verstellte meine Stimme, um möglichst tief zu sprechen. „Hello, gorgan_camelot“, sagte ich mit viel zu hoher Stimme und englischem Akzent, „hier ist alles fine. Das war nur fun. Ich bin schon so in meiner Rolle drin, dass ich mich gerade fühle, als wäre ich Kim.“ Abgeschickt. Fuck, das war ein Fehler. Damit würde sie mich doch sofort entlarven.

Schnell schaltete ich das Handy aus und legte es zurück – gerade noch rechtzeitig. Denn in diesem Moment betrat Niklas den Raum und suchte nach …

„Hast du mein Handy gesehen?“ Sein Blick fiel auf den Tisch, wo er es schließlich entdeckte. Ich spürte, wie die Nervosität in mir aufstieg, als er danach griff. Unsicher beobachtete ich ihn.

Zunächst zeigte er keine Regung und ich dachte schon, ich hätte es geschafft, doch dann schien er auf Instagram gegangen zu sein. Verwirrt tippte er etwas schneller. Dann stürzte ihm das Gesicht ab. Sicher hatte er den Chatverlauf mit gorgan_camelots entdeckt.

„Kim“, knurrte er erbost, „warst du an meinem Handy?“

„Wie kommst du darauf?“, fragte ich mit zuckersüßer Stimme und blinzelte mit meinen Augenlidern, doch es half nichts.

„Erstens würde ich nie so etwas schreiben, zweitens mache ich nur extrem selten Sprachnachrichten und drittens – ah, wo sind meine Beiträge?“

Ups, er hatte entdeckt, dass sich die Zahl seiner Beiträge nahezu halbiert hatte. Mist!

„Kim, du … du!“ Er baute sich vor mir auf. „Du hast Auftrittsverbot. Jetzt setzt du erst einmal in der nächsten Szene aus und wir schreiben nicht über dich. Du wirst nicht einmal mit einem Buchstaben erwähnt!“

Das hatte gesessen! Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen und mir die Sicht verschwamm. „Aber ich …“ Ein tiefes Schluchzen machte es mir unmöglich, weiterzusprechen.

„Erst denken, dann handeln!“, sagte Niklas kalt, als sei ich ein Kleinkind, das belehrt werden musste. Na ja, wie ein Kleinkind hatte ich mich wohl auch verhalten.

„Boah, ich fasse es nicht. Du hast Storys von dir hochgeladen? ‚Kim ist einfach die Beste!‘? Selbstverliebter geht es doch gar nicht. Du hast doch deinen eigenen Account. Diese Story lösche ich direkt wieder!“

Traurig nickte ich. „Account ja, Follower? – Fehlanzeige.“

„Von nichts kommt nichts“, versuchte er, mir ins Gewissen zu reden.

„Du hast ja recht. Es tut mir wirklich leid … Ich werde es nie wieder tun.“

„Das wirst du gewiss nicht!“

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