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Faschings-Interview

Vera Sturm

Eine deiner mit Fasching vollkommen unerfahrenen Figuren gerät versehens in einen Rosenmontagsumzug.

Auf dem Weg zur Arbeit musste ich meist so abhetzen, dass ich kaum mitbekam, was um mich herum ablief. Ich stand meist auf den letzten Drücker auf, dass es gerade so reichte, um rechtzeitig im Büro anzukommen.

Heute war auch wieder so ein Tag. Noch wenige Minuten bis Arbeitsbeginn. Nebenbei hörte ich mir schon die Tagesschau in 100 Sekunden an, um gut informiert in den Tag zu starten. Schließlich waren Nachrichten meine Arbeit. Wenn ich wusste, was auf mich zukam, war ich meist entspannter und konnte gemütlicher in den Tag starten. Interviews waren da zwar anders, doch ich liebte sie ebenso wie spannende Berichte über größere Feste.

Mit den Gedanken in den Tagesnachrichten, bemerkte ich nicht, dass mir eine ganze Horde an Menschen entgegenkam. Wobei das eigentlich falsch war. Ich bemerkte sie schon, doch blendete ich sie wieder aus, da sie mir nicht relevant erschienen. Ich dachte mir auch nichts weiter, als ich durch eine regelrechte Menschen-Allee lief. Links und rechts am Straßenrand standen sie, die meisten von ihnen verkleidet.

Als ich begriff, was hier vor sich ging, war es schon zu spät – und ich mitten im Geschehen. Die Hexen waren innerhalb weniger Sekunden vor, neben und hinter mir. Ich versuchte noch, wegzurennen, doch ich war mitten im Umzug gefangen.

„He, lasst mich bitte raus“, machte ich mich bemerkbar, doch mehr als ein hölzernes Grinsen und Konfetti bekam ich nicht zur Antwort.

„Na danke! So komme ich nie pünktlich zum Geschäft.“

„Helau, helau!“, brüllte mir eine Hexe mit schriller Stimme ins Ohr, gefolgt von einer großen Portion Konfetti.

Da sah ich ein, dass ich keine Chance hatte. Ich musste wohl oder übel mitlaufen.

„Helau!“, rief ich halbherzig, weil ich es ziemlich albern fand. Fasching hatte mir noch nie großen Spaß gemacht. Ich wollte dennoch das beste aus meiner Situation machen. Nach kurzem Nachdenken kam mir die Idee, einfach ein paar Narren zu interviewen. Allerdings war das leichter gedacht als getan,

„He, ich bin von der Presse, lasst mich bitte durch!“ Ich versuchte mir einen Weg an den Rand zu bahnen, doch es waren so viele Hexen unterwegs, dass ich kaum die andere Seite sehen konnte. Wie sollte ich es da schaffen, dort drüben anzukommen.

„Helau, helau!“, rief eine weitere Hexe, griff in den Wagen mit Konfetti und drückte sich durch ihre Mithexen. Schnell folgte ich ihr durch den entstandenen Weg.

„Hallo, darf ich Ihnen kurz ein paar Fragen stellen? Ich bin von der Presse“, sprach ich einen der am Rand stehenden Menschen an.

„Klar, gerne doch.“

„Vielen Dank.“ Ich zückte mein Handy, da ich gerade nichts anderes zur Verfügung hatte und machte eine Notiz-App auf. „Feiern Sie gerne Fasching?“, überlegte ich mir die erste Frage.

„Ob ich gerne feiere? Ich lebe Fasching!“, erklärte mir der Mann.

„Das ist ja interessant. Heißt das, Sie besuchen viele Umzüge und sind immer mit dabei, wenn Hexen und Moorteufel die Straßen unsicher machen?“

„Genau.“ Er lachte. „Ich bin überall dabei. Ich gucke mir die Prunksitzungen im Fernsehen an, besuche jeden Umzug im Umkreis von hundert Kilometern.“

„Wahnsinn, Sie scheinen wirklich ein riesen Fan zu sein.“

„Und wie! Ich bin der größte Fan, den Sie sich vorstellen können, gute Frau.“

„Seit wann machen Sie das? Also seit wann sind Sie so aktiv an Faschingsveranstaltungen?“

„Das weiß ich gar nicht. Ich würde eher fragen, wann ich es nicht gemacht habe: nie! Schon damals als kleiner Stöpsel haben mich meine Eltern auf jeden Umzug mitgeschleppt und die Freude daran ist geblieben. Meine liebste Jahreszeit ist diese fünfte Jahreszeit. Was gibt es Schöneres als bunte Kostüme, gute Laune und was zu saufen?“ Er lachte und hob mir zuprostend ein kleines Glasfläschchen hin, das scharf roch. „Wollen Sie auch?“

Abwehrend hob ich meine Hände und zog die Nase kraus. „Nein, vielen Dank. Ich muss einen klaren Kopf haben, ich arbeite gerade.“

„Eine Schande. Sie Ärmste, da beneide ich Sie ganz und gar nicht.“

„Heißt das, Sie können nur mit Alkohol feiern?“, schlussfolgerte ich.

„Aber hallo, wer hält das schon nüchtern aus? Mit ordentlich Füllung feiert es sich doch viel besser. Alle sind offener und lustiger drauf.“

„Danke, dass Sie so offen darüber gesprochen haben. Viel Spaß noch beim Feiern.“ Schnell wollte ich dieses Interview beenden, denn mit Alkohol wollte ich nicht viel zu tun haben. Auch war mir wichtig, ein Interview ohne Alkoholeinfluss zu führen. Also suchte ich weiter.

Eine Gruppe junger Frauen sah vielversprechend aus, doch ehe ich sie erreichte, war sie in der Menschenmenge scheinbar spurlos verschwunden. Komisch, dabei hatte ich nicht einmal etwas getrunken.

Unauffällig mischte ich mich unter die nächste Faschingsgruppe, um dort jemanden zu finden, der mir ein paar Fragen beantworten konnte.

„Hallo, darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen? Ich bin von der Presse und möchte einen Artikel schreiben.“

„Aber gerne doch!“, freute sich die Hexe.

„Woher kommen Sie?“

„Wir sind die Ettlinger Hexen. Ich bin schon seit dreißig Jahren dabei und finde es super.“

„Unglaublich, das ist lange. Was genau finden Sie super?“

Die Hexe, deren Gesicht ich aufgrund ihrer Maske nicht erkennen konnte, schüttelte den Kopf. „Da kann ich mich auf nichts festlegen. Einfach das Gefühl von Fasching. Die Leute sind so unglaublich toll. Ich liebe es einfach, mit meiner Gruppe zu laufen, Konfetti zu werfen und ein Teil der ganzen Karnevalsgesellschaft zu sein.“

„Haben Sie Ihr Kostüm selbst genäht oder kann man das so kaufen?“ Mich faszinierten solche aufwendigen Kostüme wirklich, denn ich wusste, wie lange es dauerte, nur ein Loch in einer Hose zu flicken – zumindest bei mir. Wie lange mochte es wohl dauern, bis ein komplettes Kostüm fertig war.

„Kaufen kann man so etwas nicht. Das ist alles Handarbeit. Alles per Hand genäht von unserer Vereinseigenen Näherin, die all unsere tollen Kostüme gefertigt hat. Auch unsere Holzmasken sind alles Einzelstücke. Keine gleicht der anderen. Alle sind handgeschnitzt. Das bekommt keine Maschine so schön hin.“

„Wirklich schön, wie viel Liebe und Mühe in solchen Kostümen steckt“, staunte ich. „Herzlichen Dank, dass ich Ihnen ein paar Fragen stellen durfte.“

„Aber gerne doch, dafür sind wir da. Helau!“

„Helau!“, rief ich und musste lachen.

Gerade kam die Gruppe am Rathaus vorbei. Ich nutzte die Gelegenheit und drückte mich durch die Menge, um hinauszugelangen. Tatsächlich nur fünf Minuten zu spät, dafür mit zwei Interviews mehr, betrat ich mein Büro und ließ mich auf meinen Schreibtischstuhl plumpsen.

„Was für ein Tag“, seufzte ich und musste erst einmal verdauen, was ich gerade erlebt hatte.

„Wieso? Du bist doch erst angekommen? Fünf Minuten zu spät!“ Mein Kollege, der gerade von seiner Raucherpause zurückkam, stüpfelte mich allzu gerne.

„Ich bin in den Umzug geraten. Das war alles andere als lustig“, stöhnte ich.

„Ach, kein Wunder, siehst du so aus.“

„Wie sehe ich denn aus?“ Geschockt eilte ich zum Spiegel und begutachtete mich.

„Ziemlich erschöpft“, kicherte er.

„Ich bin gerade einen halben Umzug mitgelaufen.“

„Dein Pech, darum bin ich heute eine halbe Stunde früher gekommen.“

„Schön für dich, dafür habe ich zwei Interviews gemacht.“

„Vera, ich bin beeindruckt. Du schaffst es, aus jeder noch so blöden Situation deinen Nutzen zu ziehen. Du bist die geborene Spitzenreporterin.“ Das war mein Chef, der zufällig unser kurzes Gespräch belauscht hatte. Er klopfte mir auf die Schulter.

„Ach, hör doch auf!“, meinte ich leicht beschämt, zugleich unendlich stolz. Dann spürte, wie ich rot anlief.

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