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Flucht durchs Fenster

Vera Sturm

Bloß weg! Alle wollen feiern – nur dein Lieblingsprota nicht.

„Oh, ich freue mich schon so sehr auf die Party“, quiekte Kim überglücklich. Sie hatte sich komplett schick gemacht, geschminkt, und sogar ihre Haare auftoupiert.

Auch Dina hatte sich herausgeputzt. Um ihre dunklen Augen lag ein dezenter Schatten, der sie wie eine Zauberin aussehen ließ.

Ich hingegen trug ein normales T-Shirt und Hosen. Mir war die Party nicht sonderlich wichtig, doch meine beiden Freundinnen hatten darauf bestanden, dass ich mitkomme. Darum bin ich dabei.

„Wieso müsst ihr mich immer so plagen?“, moserte ich.

„Plagen?“ Kim guckte mich verwirrt an. „Sei doch froh, dass wir dich mitnehmen. Das wird eine tolle Party.“

„Am Ende noch so toll wie die Sause deiner Granny“, lachte ich geschockt. Diese Geschichte wollte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Kims Großmutter hatte eine der verrücktesten Partys gefeiert, die ich gehört hatte. Als Kim nach ihrer Rückkehr mir davon berichtet hatte, konnte ich mich vor Lachen kaum noch halten. Doch selbst wollte ich so eine Party nie erleben.

„He, das ist unfair!“, beschwerte sich Kim. „Lass gefälligst meine Granny aus dem Spiel. Sie ist ein Fall für sich. Das kann man mit nichts vergleichen.“

„Das glaube ich dir sofort“, kicherte Dina, die ebenfalls diese Geschichte gut kannte.

„Mädels, glaubt mir, diese Party wird der Knaller“, versicherte Kim.

„Noch sind wir nicht da, ich urteile danach“, meinte ich skeptisch. „Und wenn es einen Flop gibt, schreibe ich einen Artikel für die Zeitung darüber.“

„Das kann nicht dein Ernst sein!“ Kims Gesicht stürze augenblicklich ab. „Das ist eine kleine Hausparty mit meinen WG-Mitbewohnerinnen.“

„Die Leute lachen auch gerne über kleine Hauspartys“, wusste ich Bescheid. Natürlich würde ich so etwas nie schreiben, aber ich fand es lustig, dass Kim es tatsächlich von mir erwarten würde.

„So, genug, können wir los?“, wollte Dina wissen. Wir waren gerade bei ihr und trafen die letzten Vorbereitungen, denn Dina hatte noch einen Kuchen gebacken.


Freudestrahlend empfing Mara uns. „Wie hübsch ihr ausseht“, schwärmte sie, dann viel ihr Blick auf mich. „Und wie du aussiehst …“

„Wie sehe ich denn aus?“, wollte ich wissen.

„Langweilig“, stüpfelte sie mich.

„Damit kann ich leben. Solange ich nicht hässlich aussehe“, gab ich schulterzuckend zurück.

„Wieso, was wäre daran so schlimm? Hessisch ist doch …“

„Hässlich, nicht hessisch, Kim!“, verbesserte ich sie. „Schon klar, dass ich nichts gegen hessisch habe. Wieso auch.“

Lisas Kopf erschien ebenfalls an der Tür. „Hey, ihr Süßen, wie geht es euch? Freut ihr euch auf die Party?“

„Du glaubst gar nicht wie sehr“, freute sich Kim. „Dina hat sogar einen Kuchen gebacken.“

„Und ich freue mich, wenn ich wieder daheim bin. Ich wurde hier nur mitgeschleppt.“

„Oh, du Ärmste, du wirst es überleben!“, kicherte Mara, dann traten wir alle ein.

Alle machten es sich am Esstisch bequem und ich setzte mich dazu. Halblaut lief schlechte Musik einer unbekannten Band im Hintergrund. Dina schnitt ihren Kuchen an und teilte jedem von uns ein Stück aus. Genussvoll schmatzte Kim darauf los. Jeden Biss kommentierte sie mit „Mmmmh“ oder „Lecker“, was mir nach fünf Minuten echt auf die Nerven ging. Auch Dinas Grinsen brachte mich zur Weißglut. Gab es einen Anlass dazu, so dämlich zu grinsen? Die Party schien mir alles andere als geeignet dafür.

„Ich muss mal aufs Klo“, meinte ich und stand kommentarlos auf. Niemand schien mitzubekommen, dass ich plötzlich fehlte und so wollte ich mir die Gunst der Stunde zu eigen machen.

Vorbei an den abscheulichen Gruppenbildern im Hausgang führte mich mein Weg in ein kleines Bad, das – keine Fenster hatte. Mist! Jetzt fiel es mir erst wieder ein. Um keinen Verdacht zu erregen, setzte ich mich dennoch für ein paar Sekunden auf die Schüssel und spülte.

Heimlich schlich ich mich in Kims Zimmer und schloss die Tür leise hinter mir. Doch gerade als ich mein Hindernis vollgestellte Fensterbank ausmachte, hörte ich Schritte. Schritte, die geradewegs auf Kims Zimmer zukamen.

Hastig kroch ich unter ihr Bett, um mich zu verstecken. Dicke Wollmäuse stoben auf. Ich hoffte inständig, dass ich nicht niesen musste und mich dadurch verriet.

„… wunderschöne Weste, die ich euch unbedingt zeigen muss“, sagte Kim gerade, als sie ihre Tür schwungvoll aufriss. Mit einem Griff hatte sie das besagte Kleidungsstück gefunden. Das wunderte mich nun wirklich, denn Kims System – wenn man diese Unordnung über als ein solches bezeichne konnte – ließ mir keine Idee, wie sie darin etwas finden konnte.

Warum machst du dir über einen solchen Schwachsinn Gedanken? Du hast weitaus Wichtigeres zu tun!, ermahnte ich mich.

Die Zimmertür schloss sich wieder und ich kroch unter ihrem Bett hervor. Da passierte das Unvermeidliche: ich musste niesen. Nicht einmal, nicht zweimal, bestimmt fünfmal hintereinander katapultierte ich die Reliquien, die unter Kims Bett beheimatet waren, aus meiner Nase. Nervös verharrte ich, doch niemand schien es gehört – oder zumindest beachtet – zu haben.

Leise pirschte ich mich zur überladenen Fensterbank und räumte diese möglichst geräuschlos ab. Kurz wartete ich ab, dass mich auch wirklich niemand hörte, dann öffnete ich das Fenster.

Da sich Kims Zimmer im Erdgeschoss befand, war es nicht schwer, auszusteigen. Mühelos zog ich mich hoch und kletterte hinaus. Hinter mir zog ich das Fenster wieder zu und eilte davon.

Ich hatte es geschafft!

Mission completed!, hörte ich meine innere Stimmte triumphierend aufjauchzen, während mich meine Füße im Laufschritt zu meiner Wohnung trugen.

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