Queen of Chess
Kim Posse
Welttag des Schachspiels
Zum wöchentlichen Spielnachmittag hatten wir uns bei Vera getroffen. Gerade beratschlagten wir, was wir diesmal spielen wollten.
„Wie wäre es mit Schach?“, schlug ich vor.
„Schach?“ Sowohl Dina als auch Vera glotzten mich mit offenen Mündern an.
„Wie kommst du ausgerechnet auf Schach?“, wunderte sich Vera. „Es gibt doch genug schöne Spiele.“
„Ich will es eben einmal ausprobieren. Ich habe es noch nie gespielt.“ Von meinem Grandpa wusste ich, dass er in seinen besten Jahren häufig Schach gespielt hatte. Oft hatte er mir davon erzählt, wie er seine Freunde besiegt hat. Schach – chess, wie es auf Englisch hieß – war ein Spiel, das nur kluge Köpfe spielten. Zumindest hatte mir das Grandpa erzählt. Nun wollte ich es selbst einmal lernen.
„Dann hast du dir aber etwas Großes vorgenommen“, bemerkte Dina, „Schach ist nicht das Spiel, das man schnell lernen kann.“
„Ich fand es immer aufregend, als mein Vater von Königen, Bauern und Türmen erzählt hat. Ein Spiel mit Rittern und Krieg“, schwärmte ich.
„Oh, ich glaube, du hast ein komplett falsches Bild von diesem Spiel. Aber bitte, wenn du es unbedingt ausprobieren willst. Ich habe Schach da. Spielen wir eine Runde.“ Vera stellte ein Brett in die Mitte des Tisches, das wie Marmor-Kekse aussah. Schwarze und weiße Kacheln, die mit Zahlen und Buchstaben durchnummeriert waren.
„Das Spielbrett sieht auf jeden Fall lustig aus“, bemerkte ich.
„Jetzt müssen wir erst einmal die Figuren aufstellen“, erklärte Vera. Sie stellte sowohl meine als auch ihre Figuren der Reihe nach auf.
„Sind das so viele?“, wunderte ich mich. „Und wieso sehen die Figuren in der zweiten Reihe alle gleich aus?“
„Das sind die Bauern, aber dazu komme ich gleich“, sagte Vera.
„Und wo sind die Figuren für Dina?“, wollte ich wissen.
„Schach kann man nur zu zweit spielen“, teilte mir Dina mit.
„So ein blödes Spiel!“, fand ich.
„Ich spiele mit dir im Team, dann kann ich dir noch etwas helfen“, schlug Dina vor. „Zunächst erkläre ich dir, wie die Figuren laufen dürfen.“
„Man darf nicht einfach irgendwie laufen? Das ist ja blöd!“ Ich hatte mir das Spiel wesentlich aufregender vorgestellt. Als mir Dina und Vera abwechselnd die ganzen Laufmuster der einzelnen Figuren erklärten, rauchte mir der Kopf. Als sie bei der letzten Figur ankamen, hatte ich die erste schon wieder vergessen.
„Keine Sorge, ich helfe dir“, munterte mich Dina auf.
„Okay, dann fangen wir an. Wo ist der Würfel?“ Suchend guckte ich mich um.
„Es gibt keinen Würfel. Wir spielen abwechselnd und je nur eine Figur“, klärte mich Vera auf.
Sie begann und fuhr mit einem Bauern ein Feld vor. Ich tat es ihr spiegelverkehrt gleich. Mit dem nächsten Bauern fuhr sie zwei Felder vor, ich fuhr drei.
„Warte, das geht nicht. Maximal zwei Felder. Das geht auch nur beim ersten Zug.“ Vera schob meine Figur auf die Ausgangsposition zurück.
„Was für ein blödes Spiel!“, motzte ich. Was hatte meinem Grandpa bloß daran so gut gefallen. Er hatte mir erzählt, dass er mehrere Stunden Schach spielte. Ich hielt es keine Minute aus. „Ich habe keine Lust mehr. Können wir etwas anderes spielen?“
„Nach dieser Runde“, stimmte mir Dina zu.
„Kim, du bist dran“, erinnerte mich Vera.
„Wisst ihr, ich finde dieses Spiel echt doof! Auch, dass es nur schwarz-weiß ist. Absolut unbunt!“, nörgelte ich.
„Nun spiel, dann hast du es hinter dir!“, meinte Vera. „Du kannst froh sein, dass wir es nicht mit Stoppuhr spielen.“
„Was?“ Entsetzt hielt ich inne. „So etwas gibt es? Aber ich finde toll, dass die Dame in jede Richtung gehen kann und somit eigentlich die stärkste Figur auf dem Feld ist. Der König darf ja nur je ein Feld in jede Richtung rücken.“
„Die Dame ist wirklich toll“, stimmte mir Vera zu. „Mit dem Spruch Weiße Dame, weißes Feld – schwarze Dame, schwarzes Feld kannst du dir außerdem die Position merken, wie sie zu Beginn stehen muss.“
„Ach, dafür kann ich die Anleitung daneben legen“, wandte ich ein. „Man muss nicht alles wissen, man muss nur wissen, wo es steht.“
„Ein wirklich kluger Spruch“, lobte mich Dina.
Ich sprang mit dem Pferd in eine freue Lücke, um das Spiel fortzusetzen. „Zwei vor und eins rüber“, murmelte ich dabei vor mich hin, um mir den Schritt zu merken.
„Super, Kim, du bist ja eine richtige Sportskanone“, meinte Dina.
„Wieso das denn?“ Verdutzt blickte ich sie an.
„Schach wird offiziell als Sport gesehen.“
„Verrückt“, fand ich, „man bewegt sich doch dabei gar nicht.“
„Es gibt ja auch E-Sports, bei denen man nur die Finger bewegt und vor einem Computer sitzt. Ich verstehe es auch nicht wirklich.“
Vera machte den nächsten Zug. „Schachmatt.“
„Schach-was?“
„Schachmatt. Das heißt, dass du verloren hast. Mit deinem König kannst du nicht mehr ziehen, ohne dass ich ihn werfen kann.“ Vera grinste mich an.
„So eine Sch… Schachpartie!“, verbesserte ich mich schnell. „Das ist doch voll unfair! Und wieso ist überhaupt der König die wichtigste Figur? Ich will, dass die Dame die letzte Figur ist. The Queen of Chess.“
„Das kannst du nicht entscheiden. So sind eben die Regeln.“
„Pah, dann habe ich eben verloren. Damm ist endlich dieses blöde Spiel zu Ende. Es hat mir sowieso keinen Spaß gemacht.“
„Das habe ich gemerkt“, kicherte Vera. „Darum regst du dich so auf, dass du verloren hast.“
„Mrr! Sei doch leise!“
„Oho, die junge Schachkönigin hat gesprochen“, gluckste Dina und stupste mich neckend an.
„Ach, lass mich doch in Ruhe!“ Genervt schob ich die Figuren vom Brett und klappte es zusammen. „Können wir etwas anderes spielen?“