Regentanz
Vera Sturm
Regentanz … oder was tut deine Lieblingsprota, um in einem heißen Sommer endlich Regen / eine Abkühlung zu bekommen?
„Wieso regnet es seit Tagen nicht? Mir ist es viel zu heiß!“, stöhnte Kim und wischte sich Schweiz in der Stirn.
„Das musst du den Wolken sagen“, meinte ich und zuckte mit den Schultern.
„Oder du führst einen Regentanz auf“, scherzte Dina.
„Einen Regentanz? Was ist das?“ Mit großen Augen guckte Kim mich an.
„Du weißt nicht, was ein Regentanz ist?“, machte sich Dina darüber lustig.
„Nein, sonst hätte ich doch nicht danach gefragt“, wies Kim sie darauf hin.
Da ich Kim helfen wollte, erklärte ich ihr, dass viele Urvölker und indigenen Stämme diese Praxis vollzogen, um in langen Trockenzeiten Regeln heraufzubeschwören.
„Das klingt super!“, war Kim direkt begeistert.
„Dass dir das gefällt, war mir sofort klar“, spottete Dina.
„Wollen wir es gleich ausprobieren?“, fragte Kim. „Was müssen wir dafür tun?“
„Du willst wirklich einen Regentanz aufführen?“ Dina konnte es nicht fassen.
Auch ich hatte nicht damit gerechnet, dass Kim ein solch absurdes Ritual vollführen wollte. Ich stritt es zwar nicht ab, dass es Naturgötter gab, aber sie zu beschwören?
„Na gut“, ließ ich mich darauf ein. „Wir brauchen ein Feuer, um das du tanzen kannst und einen Stab mit Schellen. Du musst um das Lagerfeuer springen und dazu singen.“ In Gedanken malte ich mir bereits aus, wie das aussehen mochte, wie Kim wie Rumpelstilzchen um ein Feuer hüpfte.
„Perfekt. So viel ist das gar nicht. Das besorge ich.“ Kim strahlte übers ganze Gesicht und verschwand.
„Sie macht das jetzt nicht wirklich⁈“, staunte Dina.
„Du kennst Kim gut genug“, meinte ich.
„Genau darum mache ich mir ja Sorgen“, entgegnete Dina.
„Auweia, was habe ich da nur angerichtet?“, fragte ich verzweifelt.
„Nun, dann haben wir zumindest eine gute Show. Und wenn es wirklich funktionieren sollte, sogar Regen.“
„Du glaubst doch selbst nicht, dass das klappt!“, stieß ich lachend aus.
„Was haben wir zu verlieren?“ Dina nahm es locker. „Entweder es beginnt zu regnen oder eben nicht.“
Knapp eine halbe Stunde später kam Kim mit einem Bollerwagen angelaufen.
„Schau!“ Aufgeregt stupste mich Dina in die Seite. „Da ist sie … mit einem vollbeladenen Wagen!“
„Da bin ich wieder … mit einem vollbeladenen Wagen“, strahlte Kim. „Ich habe alles, was wir brauchen.“ Dann begann sie, ihr Gepäck auszuladen. „Holzscheite und Zunder für das Feuer. Einen Stab mit Schellen. Eine Trommel. Ein Bärenfell.“
„Wo hast du das denn her?“, stutzte ich.
„Das behält die Schamanin für sich“, meinte Kim und grinste geheimnisvoll.
Herrje, ich hoffte nur, dass wir dafür keinen Ärger bekamen. „Und was machst du damit?“
„Das ziehe ich an, was sonst?“
Nachdem Kim ihren Wagen entladen hatte, häufte sie das Brennholz an und entfachte ein kleines Feuer, das auf dem trockenen Gras hervorragend brannte. Ich hielt das für keine gute Idee und guckte ihr skeptisch dabei zu. Allzu leicht konnte ein solches Unterfangen einen Großbrand auslösen. Vor allem bei diesen sommerlichen Temperaturen, wenn ohnehin schon alles ausgetrocknet war. Ein Funken genügte, um ganze Wälder zu roden.
„Kim, das geht nicht gut. Wenn das Feuer überspringt, brennt hier alles. Du musst die Feuerstelle gut schützen und einen Eimer Wasser zum Löschen bereitstellen“, wies ich sie auf die Gefahr hin.
„Woher soll ich denn jetzt einen Wassereimer bekommen? Außerdem regnet es ja gleich, dann wird das Feuer schon wieder gelöscht.“
„Unwahrscheinlich“, meinte ich und deutete in den strahlend blauen Himmel, an dem eine einzige kleine Wolke wie ein verlorenes Schaf ohne Herde herumirrte.
„Das kommt schon noch“, war Kim zuversichtlich und legte sich das Bärenfell um. Mir drückte sie die Trommel in die Hand. „Trommel!“
„Ich weiß, dass das eine Trommel ist“, gab ich perplex zurück.
„Du sollst trommeln!“, wies sie mich an.
Um eine längeren Diskussion zu vermeiden, tat ich, was sie von mir verlangte.
Bong!
„Noch einmal.“
Bong!
„So kann ich nicht arbeiten“, stöhnte sie. „Öfter! Du musst kontinuierlich trommeln. So gibt es doch keinen Takt, dem ich folgen kann! Du trommelst und ich singe!“
Das konnte ja heiter werden! Lustlos begann ich zu trommeln, während Kim ums Feuer hüpfte.
Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong!Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong! Bong, bong, bong, bong!
Als meine Hand schon fast taub war und Kim bereits ihre zwanzigste Runde gedreht hatte, begann sie zu singen. Beschwörend riss sie dabei ihren Schellenstab in die Höhe.
„Lass es regnen, lass es regnen,
Mit Wasser uns‘re Erde segnen“, brummte sie vor dieselben beiden Verse pausenlos vor sich hin.
„Das wird doch nichts!“, stöhnte Dina und verdrehte die Augen. „Ich hole mir ein Eis. Das kühlt wirklich ab. Kim, du hast schon einen ganz roten Kopf vor Anstrengung!“
In diesem Moment begann es zu tröpfeln. Dann nahm der Regen rasch zu, bis der Himmel seine Schleusen öffnete und ein regelrechter Sturzregen auf uns niederprasselte.