Robbed
Kim Posse
Deine hilfloseste Figur macht Urlaub und wird beklaut. Was passiert?
Ich konnte es kaum glauben! Ich stand in einem mir völlig fremden Land, umgeben von wunderschönen Landschaften und exotischen Gerüchen. Noch gestern war ich fast gestorben, denn ich litt unter entsetzlicher Flugangst, die auch diesmal nicht minder zugeschlagen hatte. Dass ich endlich hier stehen konnte, war so aufregend, dass ich kaum stillstehen konnte.
Mein erster Urlaub, vollkommen alleine! Das versprach, abenteuerlich zu werden!
Gerade fuhr mein Koffer an mir vorbei und ich zerrte ihn vom Band. Hinter mir rannte eine Gestalt, deren Gesicht ich nicht sehen konnte, eilig vorbei.
„Hat der es aber eilig“, amüsierte ich mich noch, doch als ich mich umwandte, überkam mich blankes Entsetzen. „Das ist doch wieder typisch!“, fluchte ich ungehalten. „Shit! Shit! Shit!“
Meine Freundinnen Dina und Vera hätten mich vorher ruhig warnen können! Sie wussten doch, wie ich war! Sonst wiesen sie mich auf alles hin, doch dass ich auf meine Tasche achtgeben sollte, hatten sie nicht erwähnt. Nun war sie weg – mitsamt meinen Wertsachen. Ich hatte sie doch nur kurz aus den Augen gelassen, um meinen Koffer vom Fließband zu holen.
Ich fühlte mich so hilflos und gleichzeitig unendlich dumm. Wie hatte ich nur so unaufmerksam und fahrlässig sein können? Viele Menschen und eine herrenlose Tasche … (Eigentlich war sie ja frauenlos gewesen!)
Gefrustet zog ich meinen Koffer hinter mir her. An den Treppen des Eingangs hob ich ihn nicht hoch, sodass er geräuschvoll hinunter rumpelte und ich einige Blicke auf mich zog. Ungebremst knallte der Koffer mir in die Fersen, als ich stehen blieb. Einen schmerzvollen Aufschrei konnte ich nur mit Mühe unterdrücken.
Eine ältere Dame schüttelte den Kopf, als sie mich sah, doch das war mir völlig egal. Sollte sie doch denken, was sie wollte! Ich hatte gerade meine Handtasche mit all meinem Geld, meinen Wertsachen und meinem Ausweis.
„Unfassbar, dieser Koffer hat sogar Rollen und dieses ahnungslose Dummchen zerrt ihn wie eine Furie die Treppe hinab“, schalt sie in gedämpftem Ton – auf Deutsch! Ich verstand sie nur zu gut.
„Dem Dummchen wurde gerade die Handtasche mit allen Wertsachen gestohlen!“, keifte ich genervt zurück, was die Dame dazu brachte, die Augen weiter aufzureißen, als es ihr möglich sein sollte.
„Herrje, du hast mich verstanden? So eine Peinlichkeit“, entschuldigte sie sich. „Deine Tasche, sagst du? Soll ich dir suchen helfen?“, bot sie nun überfreundlich an.
Hatte sie jetzt ein schlechtes Gewissen?
Sie begleitete mich an den Flugschalter und erklärte dem jungen Mann auf Englisch, was vorgefallen war. Mehrmals fragte sie mich etwas – ich antwortete ihr auf Deutsch –, was sie wiederum dem jungen Mann übersetzte.
„Ich kann übrigens Englisch“, informierte ich sie nach einer Weile. „Sogar besser als Deutsch. Ich komme ursprünglich aus England.“
„Really? And how I speak english? Have I a good endlish or have you some tips for me?“, wollte sie wissen.
Mich schauderte es, ihr zuzuhören. Es war einfach nur grauenvoll. Sie sprach in deutschem Satzbau und verwendete einfach nur englische Wörter. Schlimmer ging es kaum!
„Ihr Englisch ist gar nicht so schlecht“, log ich und rang mir ein halbherziges Lächeln ab.
„It‘s just cruel“, meinte der Mann, dem die Dame keine Beachtung mehr schenkte. „Sie hätten auch Deutsch mit mir sprechen können“, sagte er nun in erstaunlich gutem Deutsch.
„Ach, das war nicht schlimm“, fand sie, „so konnte ich zumindest meine Englischkenntnisse aufbessern.“
Wohl kaum, hätte ich am liebsten gesagt.
„Wie ist das passiert?“, fragte er mich nun über den Diebstahl aus.
„Nun ja“, begann ich zögernd, „ich bin einfach zu tollpatschig für diese Welt. Ich habe nicht aufgepasst, und schwups war meine Tasche weg. Ich habe sie stehenlassen, während ich meinen Koffer vom Band geholt habe.“ Koffer! In diesem Moment überkam mich ein zweiter Schock! Mein Koffer! Ich hatte ihn an der Treppe stehen lassen!
„Scheiße“, heute ich auf und rannte eilig zur Treppe zurück, doch da stand bereits kein Koffer mehr …
Niedergeschlagen kehrte ich zu den beiden zurück.
„Jetzt ist mein Koffer auch noch weg“, klagte ich und brach in Tränen aus. „So eine Scheiße. Es ist das erste Mal, dass ich alleine reise. Das kann auch nur mir passieren!“
„Nun beruhigen Sie sich erst einmal“, munterte mich der Mann auf. „Ich habe eine Idee. Wir gehen zusammen zum Fundbüro. Vielleicht hat ihre Sachen ja jemand abgegeben. Ehrliche Leute gibt es immer wieder.“
„Aber auch genug Kriminelle!“, fügte ich ernüchternd hinzu.
„Kopf hoch“, meinte die Frau. „Ich wünsche dir viel Glück. Ich muss leider weiter. Mein Bus fährt gleich ab.“
„Danke für Ihre Hilfe. Ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub.“
„Dankeschön.“ Sie lächelte, als sie davon stiefelte.
Mit hängendem Kopf folgte ich dem jungen Mann, der zielstrebig eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite der Flughafenhalle ansteuerte. Davor saß ein alter Mann, dessen wettergegerbtes Gesicht mehr als furchteinflößend auf mich wirkte.
„Henry, du wirst nicht glauben, was gerade passiert ist. Mir wurde eine Handtasche abgegeben und kurz darauf ein Koffer. Beide von derselben Person. So unaufmerksam“, erzählte er auf Englisch, wovon ich natürlich jedes Wort verstand.
„Eine Handtasche und ein Koffer? Genau danach suchen wir“, erklärte der junge Mann und strahlte übers ganze Gesicht. „Sie haben wirklich Glück, junge Frau“, wandte er sich an mich.
Vor Erleichterung liefen mir ein paar Tränen über die Wange. „Meine Sachen“, schluchzte ich.
Zum Glück hatte ich meine Sachen wieder. Aber es war auf jeden Fall eine Lehre für mich gewesen, aufmerksamer zu sein.