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Saugut

Vera Sturm

Eine deiner Figuren liest Zeitung und wird in das Geschehen des Artikels gezogen.

„Ich will ja nichts sagen, aber meine Artikel sind mit Abstand die besten“, seufzte ich und klappte die Zeitung zusammen. „Manchmal frage ich mich, wie meine Kollegen so einen Schrott schreiben können. Allein die Überschriften sagen schon alles: ‚Badegäste geschockt: Bademeister wird niedergeschlagen‘ oder ‚Immer mehr Jugendliche finden keine Arbeit. Lehrer gesucht!‘. Ich fasse es nicht.“

„An dein Niveau kommt man eben schwer ran“, meinte Dina. „Freue dich lieber über deine guten Texte, anstatt dich über andere zu beschweren. Sie würden sich vielleicht wünschen, so wie du zu schreiben.“

„Leider nicht. Das ist ja der Witz. Vor allem Timo ist glücklich mit dem, was er da zu Papier bringt. Einfach grauenerregend.“

„Dann hat er alles richtiggemacht. Ist es nicht die Hauptsache, zufrieden zu sein?“

„Schon, aber doch nicht so! Ein bisschen Qualität sollte schon dahinter sein. Und dann gibt es in jedem zweiten Absatz irgendeinen peinlichen Kommafehler. Und so jemand arbeitet bei der Presse. Nichts gegen dich, Kim, aber das würdest selbst du besser hinbekommen.“

„Ich sehe das mal als Kompliment“, entgegnete Kim und guckte beschämt.

Für sie war Deutsch eine Fremdsprache, wofür sie es tatsächlich richtig gut machte. Meine Kollegen hingegen waren einfach nur faul!

„Hilft ja nichts“, gab ich seufzend von mir und klappte die Zeitung erneut auf. „Mein Los ist es, all diese grottigen Artikel zu lesen, um auf aktuellstem Stand zu sein.

Ich vertiefte mich in einem dieser sterbenslangweiligen Artikel, dessen Schreibstil mir die Erschöpfung auf die Augen rieb. Als Schlaftablette oder Präventivmaßnahme taugten sie allemal, doch angenehmes Lesen war etwas anderes!

Im ersten Artikel mit dem wundervollen Titel „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“, beschäftigte sich mein schätzenswerter Kollege mit der Massentierhaltung im Vergleich zu regionaler Schlachtung. Eigentlich unterstützte ich dieses Thema sehr und hatte ihm auch bei der Recherche dazu geholfen, doch was er daraus gemacht hatte, hätte selbst ein Grundschüler besser hinbekommen.

Viele Menschen essen Fleisch. Und wenn viel Fleisch gebraucht wird, muss viel produziert werden. Leider geht das nicht alles in Bio-Qualität. Mit Antibiotika vollgestopfte Schweine auf engstem Raum leiden Höllenqualen …

Ich konnte regelrecht das wehleidige Quieken der Schweine hören. Ich sah sie vor mir, wie sie um den wenigen Platz rangen, der ihnen zur Verfügung stand. Am schlimmsten fand ich jedoch, dass einige Schweine ihren Mitschweinen die Ohren oder Schwänze blutig gebissen hatten. Dieses Bild war einfach grauenerregend.

Eines der Schweine stupste mich mit seiner aufgescheuerten Schnauze an. Es blickte mich aus klugen Augen an, die schon viel Leid hatten ertragen müssen. Ich verlor mich in seinem Blick, hatte fast das Gefühl, einen Menschen vor mir zu haben, den ich schon jahrelang kannte. So menschlich wirkte es auf mich.

„Du armes Ding“, brabbelte ich leise vor mich hin und streichelte es hinter seinem Ohr. Von Dinas Hündin wusste ich, wie gerne Tiere das mochten.

Mehrmals grunzte das Mastschwein. Es schien ihm zu gefallen. Hatte es überhaupt schon einmal diese Zuneigung erfahren dürfen? War es jemals gestreichelt worden? Hatte es überhaupt einen Namen oder war es lediglich eine Nummer unter vielen?

Für mich war jedes Tier ein besonderes Individuum. Aus sämtlichen Reportagen und Dokumentationen wusste ich zudem, dass Schweine – wie wir Menschen – sehr wohl starke Charaktere waren und sie Gefühle wie Angst, Freude und Leid gut wahrnehmen konnten.

Unter Schweinen gab es ebenso wie bei uns Menschen die Sprichwörtliche Rampensau, andere wiederum waren schüchterner oder eben verschmust, wie meine Freundin, die ich gerade hinter den Ohren kraulte.

„Das gefällt dir, nicht wahr?“, sprach ich auf es ein und bekam ein zustimmendes Grunzen.

„Wie heißt du denn?“

Wieder grunzte das Schwein.

„Hrrro“, teilte es mir mit.

„Hrrro? Freut mich, dich kennenzulernen, ich heiße Vera“, verriet ich ihm.

„Hrrro“, sagte es erneut.

„Hrrro“, antwortete ich, was sich bei mir mehr nach Schnarchen anhörte.

„Wie alt bist du denn?“, wollte ich wissen.

„Hrrro hrrro hrrro!“, teilte es mir mit.

„Drei Jahre schon“, staunte ich. „Bitte frag nicht, wie alt ich bin.“

Doch das Schwein grunzte aufmunternd und guckte mich mit seinen dunklen, klugen Augen an,

„Na gut, ich bin 20. Ziemlich alt, oder?“

„Hrrro hrrro!“, stimmte mir das Schwein sofort zu.

„He, das ist frech! Du bist ein ziemlich freches Schwein!“, kicherte ich und kraulte es weiter hinter seinen Ohren, die mit wenigen Borsten bedeckt waren.

„Hrohrohro“, lachte das Schwein und wackelte mit dem Kopf schnell hin und her.

„Du machst dich lustig über mich?“, empörte ich mich und stemmte meine Hände entrüstet in die Seiten. „Du freche Sau, du!“

„Vera!“ Dina rüttelte mich am Arm. „Komm da raus!“ Unsanft zerrte sie mich aus dem Stall. „Du bist viel zu tief drin!“

„Zu tief drin?“ Erschrocken fuhr ich hoch und blickte ihr direkt in die Augen. Ich war in keinem Schweinestall. Ich saß in meiner Wohnung. Nun ja, manchmal konnte ich sie sogar als solche bezeichnen, aber außer mir lebte kein einziges Schwein hier.

„Du warst regelrecht in diesem Artikel versunken und hast gegrunzt. Das hat mir Angst gemacht“, teilte sie mir ihre Beobachtung mit.

„Ich habe gegrunzt?“, wunderte ich mich.

„Zwanzigmal“, bestätigte Kim.

„Auweia, wie peinlich!“

„Und du sagtest, dein Kollege schreibt schlechte Artikel. Wer so darin versinkt, kann sie nicht schlecht finden. Vera, du warst wie hypnotisiert, als seist du in einer anderen Dimension. Das muss ich unbedingt deinem Kollegen sagen. Ich muss ihn loben. Er kann wirklich sehr zufrieden mit sich sein.“

„Bloß nicht!“, empörte ich mich. „Dann war dieser eine Artikel eben gut, aber die anderen sind nur Schrott!“

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