Sonidos terribles
Dina Noche Prudencio
Tag der Blockflöte
„Ich habe ein neues Instrument gelernt“, teilte uns Kim aufgeregt.
„Ein neues Instrument? Was ist es denn diesmal?“ Spöttisch begann ich meine Vermutungen aufzuzählen: „Luftgitarre, Arschgeige, Hohlflöte, …“
Unbeeindruckt von meinen Foppereien grinste Kim nur und meinte zu meiner Verblüffung: „Mit dem dritten Instrument liegst du gar nicht so verkehrt.“
„Wirklich?“, wunderte ich mich.
„Kim“, stieß Vera entsetzt aus, „sag bitte nicht, dass du das gelernt hast, was ich denke.“
„Was denkst du denn?“
„Blockflöte?“, sprach Vera zögerlich aus.
Oh nein, bitte nicht. Ich hasste dieses Instrument. Vor allem Anfänger konnten diesem Stück Holz mehr Töne entlocken, als man es für möglich halten sollte.
„Ganz genau, ich habe Blockflöte gelernt. Genauer gesagt lerne ich es gerade. Ich habe mich an einem Blockflöten-Schnupperkurs angemeldet und es macht mir großen Spaß.“
„Nun ja, wahrscheinlich bist du auch die einzige, die ihren Spaß daran hat“, murmelte ich.
„Soll ich euch etwas vorspielen? Ich kann schon Alle meine Entchen und …“, begann Kim aufzuzählen.
„Nicht nötig“, fiel ihr Vera schnell dazwischen. „Ich glaube dir, dass du spielen kannst. Vielleicht willst du uns irgendwann einmal etwas vorspielen, wenn du es besser kannst.“
„Oh ja, jetzt wäre es doch bestimmt zu viel verlangt“, stieg ich gleich mit ein.
„Nein, das mache ich doch gerne.“ Kim verschwand in ihrem Zimmer und kam mit dem verhängnisvollen Stück Holz namens Blockflöte zurück. Grinsend setzte sie es an ihre Lippen und blies mit voller Kraft hinein.
Entsetzt hielten Vera und ich unsere Ohren zu, als die Flöte zu kreischen begann, als würde ihr jemand den Hals umdrehen wollen.
„Stoooooopp!“, brüllte ich gegen den Lärm an, doch Kim schien mich gar nicht zu hören. Munter entlockte sie ihrem hölzernen Instrument einen schiefen Ton nach dem anderen, jeder noch schriller als der vorherige.
„Kiiiiiim!“, versuchte nun Vera ihr Glück, doch auch sie kam nicht gegen die ohrenbetäubenden Töne an, die Kim hervorbrachte.
Endlich setzte sie ab, um Luft zu holen. In meinen Ohren hörte ich es noch immer pfeifen.
„Danke, Kim, ich glaube, das reicht“, erklärte ich schnell, ehe sie weiterspielen konnte.
„Schon? Ich habe mich gerade erst eingespielt. Ich wollte euch ein Konzert geben“, offenbarte sie uns.
„Du kannst doch noch gar kein Lied!“, stellte Vera entsetzt fest.
„Nein, aber ich spiele einfach irgendwelche Töne. Das klingt auch ganz toll.“
Und noch bevor ich noch etwas einwenden konnte, blies sie wieder in ihre Flöte hinein, sodass mein Trommelfell fast zu platzen schien. Hastig presste ich meine Handflächen wieder fest auf die Ohren, doch selbst damit konnte ich mich nicht vor Kims Tongewalt schützen, mit der sie gerade meine und Veras Ohren misshandelte.
„Kim, du unvernünftiges Kind, ich würde dich am liebsten wegen Körperverletzung anzeigen!“, ließ ich meinem Frust freien Lauf. Kim konnte mich ohnehin nicht hören. „So etwas kann man nicht einmal spielen nennen. Das ist bloß hohles Gequietsche. Deinen Lehrer möchte ich sehen, der dir etwas beibringt. Entsetzlich! Bei kleinen Kindern tut man zumindest aus Anstand so, als würde es einem gefallen, aber du solltest dir wirklich gut überlegen, was du uns hier antust.“
Da stieß mich Vera an der Schulter an. „Dina, Kim hat schon lange aufgehört zu spielen“; teilte sie mir mit, als ich die Hände von meinen Ohren nahm.
„Du … hast alles gehört, was ich gesagt habe?“, stieß ich geschockt aus. Augenblicklich bereute ich alles. Was hatte ich nur getan.
„Ich habe alles gehört“, meinte Kim traurig.
„Ab wann?“
„Ab ‚du unvernünftiges Kind‘.“
„Also von Anfang an“, stellte ich verzweifelt fest. „Kim, bitte, es war nicht so gemeint. Ich habe meinem Frust einfach nur freie Bahn gelassen. Das hättest du nicht hören sollen.“
„Ich habe es aber gehört! Und ich bin auch froh, dass ich endlich weiß, was du darüber denkst. Dir werde ich jedenfalls nie wieder etwas vorspielen auf meiner Blockflöte. Nie wieder!“
‚Zum Glück‘, hätte ich am liebsten gesagt, war allerdings so perplex, dass ich nicht mehr wusste, was ich tun sollte.
„Denkst du auch so, Vera?“, wandte sich Kim nun an Vera, die ebenso verdattert meinem Ausbruch zugehört hatte wie Kim selbst.
„Ich … nein, natürlich nicht, aber ich muss Dina in dem Punkt recht geben, dass du noch ein bisschen üben solltest“, druckste sie herum. „Der ein oder andere Ton … wie soll ich es sagen? … Manche Töne sind noch etwas schief?“
„Manche?“, fuhr ich ihr dazwischen, da sowieso alles zu spät für mich war. Da konnte ich ihr getrost die Wahrheit sagen. „Es gab nicht einen Ton, der erträglich gewesen wäre. Nicht einmal ein Kindergartenkind kann eine solche Geräuschvergewaltigung begehen wie du, Kim.“
„Bitte was?“, fauchte sie. Bedrohlich holte sie mit ihrem Instrument aus.
„Du wirst doch nicht …?“, setzte ich an.
„Du solltest jetzt lieber ganz schnell verschwinden“, riet mir Vera und das tat ich auch.
„Und ob ich will“, keifte Kim, dann hieb sie nach mir und verfehlte mich nur knapp.
Ich machte augenblicklich auf dem Absatz kehrt und jagte den Flur entlang, wo ich mir eine Schuhe schnappte und noch sockig nach draußen eilte. Dort stürzte ich fast über meine eigenen Füße, so überrumpelt war ich.
„Mist! Das hätte nicht passieren dürfen!“, jammerte ich und schlug einen Schuh wutentbrannt auf den Boden.
Da öffnete sich die Tür erneut und Vera stürmte hinaus. Sie stürzte fast über mich.
„Ich hasse euch!“, schrie Kim, dann schlug sie die Tür krachend ins Schloss.
„So ein verdammter Mist! Wir sind doch Freundinnen! Wieso habe ich nicht einfach meine beschissene Klappe halten können?“, wimmerte ich. Tränen liefen mir über die Wangen.
„Dina, ich fand es auch schrecklich“, gab Vera zu.
„Aber du warst nicht so doof und hast es gesagt“, schluchzte ich.
„Doch, ich habe dir ein bisschen zugestimmt, was Kim gar nicht gefallen hat. Jetzt sitzen wir beide hier.“ Auch sie war von Tränen überströmt.
Wir blickten uns eine Weile an, dann musste ich schluchzend etwas lachen. „Na ja, irgendwie ist es auch gut, dass sie nun die Wahrheit weiß. Nochmal wird sie uns jedenfalls nicht vorspielen.“
„Nein, bestimmt nicht“, konnte auch Vera vor Erleichterung fast wieder lachend zugeben. „Also hatte es doch sein Gutes.“