Sonnenbrand am Fenster
Vera Sturm
Eine deiner Nebenfiguren hat den Sonnenbrand ihres Lebens – genau vor einem wichtigen Auftritt im Buch. Was nun?
„Ich will ja nichts sagen, aber wäre es nicht klüger, nicht in der prallen Sonne zu liegen?“ Ich musterte meinen Kollegen, der oberkörperfrei am offenen Fenster saß und sich sonnte.
Seit ich ihn kannte, konnte ich über seine Unvernunft nur den Kopf schütteln, aber diesmal ging es um mehr als nur um ihn. Morgen stand eine wichtige Pressekonferenz auf dem Terminkalender, zu der er besser nicht mit Sonnenbrand erscheinen sollte.
„Vera, schnappe dir deinen Stuhl und fläze dich zu mir. Es ist herrlich!“, meinte er. Genussvoll schloss er seine Augen und legte seine Füße am Fenstersims ab. „Herrlich!“
„Linus, wie wäre es, wenn du zur Abwechslung auch mal arbeitest?“, empörte sich Anita, die seit Minuten akribisch auf ihre Tastatur einhämmerte und nichts sonst um sich herum wahrnahm.
„Diesen Gedanken finde ich gar nicht so verlockend“, fand er und streckte sich.
„Herrgott im Himmel, hilf diesem missratenen Balg, seine Arbeit zu tun, ehe er dafür Buße tun muss“, stieß sie verzweifelt aus und hielt ihre gefalteten Hände vor sich.
„Dein Gott kann mir auch nicht helfen“, gluckste er.
„Rutsch mal zur Seite.“ Timo schob ihn ein Stück beiseite, um selbst ans Fenster zu kommen.
„Willst du dich auch sonnen?“
„Ne, ich brauche etwas frische Luft“, entgegnete er und steckte sich eine Zigarette an.
„Das nenne ich mal eine Arbeitsmoral!“, empörte ich mich. „Wartet, bis unser Chef kommt. Er wird das nicht gutheißen!“
„Und rauche gefälligst draußen!“, regte sich Anita auf. Hysterisch fuchtelte sie in der Luft herum. „Puh, das stinkt abscheulich!“, klagte sie. Um sich zu beruhigen, nippte sie an ihrem Ingwer-Tee, der fester Bestandteil ihrer Schreibtischausstattung war.
Ich konzentrierte mich wieder auf meine eingee Arbeit, als plötzlich Yannik, der Chef der Ettlinger Zeitung, eintrat und die beiden Jungs beim Faulenzen ertappte.
„Was bekomme ich da zu sehen?“ Er lief mit festem Schritt durchs Büro und baute sich vor ihnen auf. „Sonnen kannst du dich nach deiner Arbeit, Linus! Und du brauchst gar nicht so dumm zu lachen, Timo. Kippe aus, hier herrscht striktes Rauchverbot! Seht lieber zu, dass ihr was geschafft bekommt. Für morgen gibt es noch einiges vorzubereiten: Fragen vorbereiten, unsere Termine organisieren und so weiter. Die Liste ist lang. Fürs Sonnen und Rauchen bezahle ich euch nicht!“
Kleinlaut kehrten die beiden an ihre Schreibtische zurück und begannen verdrossen zu tippen. Das leise Klack Klack ihrer Tastaturen war unregelmäßig und zögerlich.
„Wie weit bist du?“, wollte Yannik von mir wissen. Ich zeigte ihm meine Arbeit und er klopfte mir anerkennend auf die Schulter. „Super, auf dich ist eben Verlass“, lobte er mich. „Anders als auf diese Chaoten! Ich muss dann auch schon wieder los. Ich wollte nur kurz nach euch schauen. Ein Glück, dass ich das noch getan habe. Vera, wenn du damit fertig bist, darfst du gerne frühzeitig Feierabend machen, das hast du dir verdient. Anita und Uschi“, wandte er sich an meine Kolleginnen, „ihr dürft auch gehen sobald ihr fertig seid.“
„Vielen Dank“, freuten sich die Damen und tippten noch schneller.
„Und wir?“, wollte Timo wissen.
„Wenn ihr fertig seid – mit allem!“ Streng guckte er sie an.
„Ja“, gaben sie kleinlaut zurück. Mehr trauten sie sich wahrscheinlich nicht zu sagen.
Yannik lächelte mir kurz zu, dann verschwand er auch schon wieder.
„Habe ich es euch nicht gesagt?“, amüsierte ich mich.
„Ach, halte doch die Klappe!“, motzte Timo.
Linus‘ Antwort verstand ich nicht. Sein Gebrummel war unverkennbar nicht nett gewesen, dennoch zu leise, um auch nur ein Wort zu verstehen.
Ein Blick auf die Uhr zeigte mir an, dass ich in einer viertel Stunde Feierabend hatte. Mit meiner Arbeit war ich komplett fertig geworden, so konnte ich frühzeitig gehen, wie es Yannik gesagt hatte.
„Wie, du gehst schon?“, wunderte sich Timo. Entsetzt guckte er hinter seinem Bildschirm hervor.
„Ja, wer schafft, darf in den wohlverdienten Feierabend!“, sagte ich grinsend.
„Feierabend?“ Uschi und Anita blickten im selben Augenblick auf und grinsten sich an. „Dann haben wir auch frei. Wir sind fertig.“ Sie packten ihre Sachen und verließen das Büro.
„Tschüss, Jungs“, trällerte Anita.
„Wie weit seid ihr denn?“, wollte ich von Linus wissen.
„Na ja“, mürrisch deutete er auf seinen Bildschirm, „da fehlen schon noch einige Punkte, die wir bis morgen abarbeiten müssen.“
„Tja, selbst schuld.“ Sie taten mir nicht im Geringsten leid. Das hatten sie sich selbst zuzuschreiben.
„Kannst du uns nicht helfen?“, bat er mich mit zuckersüßer Stimme. „Ich verrate es auch nicht Yannik.“
„Das wäre ja noch schöner!“ Ich lachte auf. „Als ob es Yannik stören würde, wenn ich es mache. Dann weiß er zumindest, dass alles gewissenhaft erledigt ist.“ Damit wollte ich nicht angeben, aber es stimmte. „Aber ich habe Feierabend. Den habe ich mir wirklich verdient! Macht euren Kram schön selbst und lernt daraus!“
„Mrrr“, kam es von Timo.
„Tschüss, dann geh in deinen wohlverdienten Feierabend!“, gab Linus trotzig von sich.
„Das mache ich auch!“, versicherte ich ihm.
Ich grinste ihn an und wollte noch etwas Gehässiges nachsetzen, als mein Blick auf seine stark gerötete Haut fiel.
„Mist, Linus, du hast voll den Sonnenbrand im Gesicht!“, stieß ich geschockt aus.
„Was? So eine verdammte Scheiße!“, schrie er, sprang auf und begutachtete sich im Spiegel. „So kann ich morgen unmöglich auf der Pressekonferenz auftauchen.“ Er wurde ganz sanft und guckte mich an wie ein Kleinkind, das um Schokolade betteln wollte. „Kannst du nicht …?“
„Nein“, unterbrach ich ihn direkt, „damit musst du selbst klarkommen! Wer sich während der Arbeitszeit sonnen kann, kann auch arbeiten!“
„Aber Vera …“
„Nein, ich bin nicht deine Handlangerin! Werde erwachsen!“
„Aber ich bin …“
„… erwachsen?“ Belustigt sah ich ihn an. „Du bist gefangen im Körper eines Erwachsenen. Ja, und auf deinem Ausweis steht, dass du Volljährig bist, aber davon merke ich herzlich wenig.“ Da ich doch etwas Mitleid mit ihm hatte, gab ich ihm noch einen Tipp: „Mit genug Schminke sollte man deine rote Haut nicht sehen.“ Damit ließ ich ihn stehen und überließ die beiden ihrem Schicksal. Ich war gespannt, was ich morgen zu sehen bekommen sollte.