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Taubenklecks

Niklas Böhringer

Dein Anta bekommt die Chance, sich für einen Tag in einen Vogel zu verwandeln.

Würde mich jemand fragen, welche Fähigkeit ich haben will, würde ich mir Flügel wünschen. Das Gefühl der Freiheit muss unbeschreiblich sein, wenn man einfach abheben und davonfliegen kann.

Doch als Autor kann ich glücklicherweise nicht nur in die Köpfe all meiner Figuren schlüpfen – ich kann auch selbst andere Gestalten annehmen und das Geschehen aus anderen Augen mitverfolgen. Wieso also nicht als Vogel?

In Ettlingen, wo die drei Freundinnen Kim, Dina und Vera wohnen, gibt es viele Tauben. Als solche könnte ich mich unauffällig unter die anderen Vögel mischen und einmal ausprobieren, wie es ist, ein Vogel zu sein.


Mein Körper war bedeckt mit gräulichen Federn, anstatt einem Mund hatte ich einen viel zu kleinen Schnabel, aus dem ich nichts als ein „Guruuu“ hervorbrachte. Eigentlich mochte ich Tauben nicht wirklich, doch wenn ich einmal eine von ihnen war, konnte ich miterleben, wie es sich als Taube lebte.

„Brutnella, kannst du glauben, dass schon wieder eine arme Taube von einem Greifvogel gepackt wurde“, gurrte eine Taube aufgeregt.

„Entsetzlich!“, gurrte eine zweite zurück.

Mit quietschenden Schwingen überquerte ich den Marktplatz und gesellte mich zu ihnen, um ihr Gespräch zu belauschen. Von hier oben sah alles so viel kleiner aus. Ich konnte die Menschenmengen beobachten, die sich an den Marktständen drängten.

„Brotkrumen!“, schrie eine der beiden Tauben plötzlich auf und segelte vom Dach. Ihre Freundin ruckte aufgeregt mit ihrem Kopf und folgte ihr sogleich. Herrje, wieso stürzten sich diese beiden Irren in diese Menschenmenge? Das war ziemlich gefährlich. Meine Befürchtung bestätigte sich. Die beiden pickten gierig nach den Krumen. Kurz darauf rannten sie verstört zwischen den viel größeren Menschenfüßen umher. Panisch blickten sie zu mir hinauf, in ihren Augen die blanke Angst. Sie rannten um ihr Leben. Es war viel zu eng, um losfliegen zu können.

Endlich schafften sie es an den Rand eines Standes, an dem es genug Platz gab, um ihre Flügel zu spreizen. Zeternd erhoben sie sich in die Lüfte und landeten aufgebracht gurrend neben mir auf dem Dach.

„Was man nicht alles auf sich nimmt für ein paar Brotkrumen!“, hechelte eine der Tauben und blickte wild um sich.

„Wie recht du hast.“

Ich ließ meinen Blick über den Marktplatz wandern, da entdeckte ich meine drei Protagonistinnen. Kim, Dina und Vera schoben sich durch die Menschenmenge und erledigten wohl ihren Wocheneinkauf. Ich beschloss, ihnen eine Weile folgen. Das würde sicher spannend und lustig werden.

Mit meinen viel zu laut quietschenden Flügeln flatterte ich nach unten und landete in einiger Entfernung, damit ich sie besser hören konnte.

„Ich hasse es, wenn ich Luna nicht mitnehmen kann“, klagte Dina. Ich liebte ihre silbergraue Labradorhündin, doch heute war ich zum ersten Mal froh, dass sie nicht dabei war. Hunde und Tauben vertrugen sich bekanntlich nicht.

„Das würde ihr doch gar nicht gefallen, hier in dem Gedränge“, erkannte Vera ganz richtig.

„Die stört eh!“, meinte Kim spitz.

„Dein Ernst?“ Geschockt blieb Dina stehen.

„Shit, habe ich das laut gesagt?“

Belustigt entschlüpfte meiner Kehle ein Gurren. Typisch Kim. Ich hatte nur darauf gewartet, dass diese Situation kam.

„Ja, du Gurke!“, motzte Dina.

Tja, das hatte sie nun davon. Ich tippelte ein paar Schritte weiter, um ihnen zu folgen. Bedauerlicherweise versperrte mir ein großes Minenfeld an Füßen meinen weiteren Weg, sodass ich ausweichen musste und die drei Freundinnen verlor.

Ich eilte um einen Stand herum und … stellte fasziniert fest, wie interessant Tauben doch waren. Als Mensch hatte ich immer gedacht, Tauben wackeln nur wie bekloppt mit ihrem Kopf, während sie laufen. Dabei war das in Realität ganz anders. Selbst als Taube erkannte ich, dass zuerst mein Kopf vorschnellte und dann regungslos in der Luft verharrte, während mein Körper folgte und unter mir herlief. Sobald ich den Punkt erreicht hatte, dass mein Kopf ganz im Nacken lag, schnellte er reflexartig wieder nach vorn – unbewusst und automatisch, fast wie atmen oder blinzeln –, damit mein Körper wieder folgen konnte. Unglaublich! Somit sah ich nur in dem kurzen Moment, in dem mein Kopf vorruckte, unscharf. Sobald er regungslos in der Luft verharrte und nur mein Körper lief, sah ich ein gestochen scharfes Bild. Nur für uns Menschen sah es so aus, als würden Tauben pausenlos mit dem Kopf wackeln, als Taube erlebte ich es viel langsamer.

Endlich erreichte ich das andere Ende des Standes, hinter dem die drei Freundinnen im selben Moment hervorkamen. Sie liefen über den Marktplatz, auf dem ich ihnen wieder mühelos folgen konnte – diesmal in der Luft. Da Kim noch immer sehr unverschämt über Luna redete und ich das nicht leiden konnte, wollte ich ihr einen tierischen Denkzettel verpassen.

„Diese beschissene Taube“, hörte ich Kim gerade jammern. „Ich hasse diese Viecher. Eigentlich bin ich total Tierlieb, aber diese Tauben gehen mir wirklich auf den Keks! Ich habe immer Angst, diese Biester kacken mich noch an.“

Jetzt erst recht! Nun hatte sie es wirklich verdient! Genau das tat ich. Ich strengte mich an, presste und dann fluppte aus meinem Hintereingang ein weißer Klecks, der nach unten segelte – geradewegs auf Kim zu. Leider war ich noch nicht so gut im Zielen und so verfehlte ich ihren Kopf nur um Haaresbreite. Zumindest die Schulter traf ich noch, worüber ich mich tierisch freute.

„Ahh“, kreischte Kim erbost auf, was mich noch glücklicher machte, „du elendes Federvieh! Du Schleimpupser!“, wetterte sie ungehalten. „Meine schöne Bluse! Die war neu!“

„Meine Mama nennt sie nicht grundlos Ratten der Lüfte“, lachte Vera und zückte rasch ein Taschentuch, um ihr meine Hinterlassenschaft von der Schulter zu wischen.

Vera war einfach zu gutherzig, ebenso wie Dina. Sie beiden hatten eine große Portion an Geduld, ohne die sie Kim als Freundin wohl nicht ertragen hätten.

„Nun hab dich nicht so“, amüsierte sich Dina, „vielleicht war es einfach nur Schicksal. Du hast gerade noch darüber geredet, prompt wurdest du tatsächlich angekackt.“

„Lach du nur!“ Kim klang inzwischen nicht mehr wütend. Ihr Zorn hatte sich in kindlichen Trotz verwandelt, der ihr nun die Tränen in die Augen trieb. „So ein beschissener Tag!“

„Der Tag nicht, nur deine Bluse“, verbesserte Vera ihre Freundin und rieb weiter über den Klecks, der dort wohl als ewiges Andenken an meinen Ausflug als Taube erinnern sollte.


So schön es auch war, fliegen zu können, sah ich nur die Nachteile meines Daseins als Taube. Sonderlich befreundet schienen die Tauben untereinander nicht zu sein, eher Konkurrenten, bestenfalls Leidensgenossen. Nein, um dieses Leben beneidete ich sie wirklich nicht.

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