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Voiceless

Kim Posse

Deine geschwätzigste Figur verliert ihre Stimme. Und nun?

„Hey, Quasselstrippe“, begrüßte mich Vera.

Konternd holte ich Luft und wollte eine bissige Bemerkung machen, wie ich es immer tat, doch mehr als heiße Luft bekam ich nicht mehr heraus.

„Was ist, hat es dir die Sprache verschlagen?“

Mist, anscheinend war genau das passiert. So sehr ich mich bemühte, war es mir nicht mehr möglich, auch nur den kleinsten Laut von mir zu geben. Wie war das bloß möglich?

„Kim, Vera, wie geht es euch?“ Dina kam um die Ecke und grinste uns an. Wir hatten uns zum Laufen verabredet.

„Mir geht es gut, Kim schweigt wie ein Grab“, informierte sie Dina großzügigerweise.

„Wie?“ Verwundert schaute sie mich an. „Ist etwas vorgefallen oder warum sprichst du nicht mehr mit uns? Haben wir etwas falsch gemacht?“

Nein, wieso auch? Außerdem würde ich euch dann anbrüllen und nicht anschweigen!, hätte ich am liebsten gesagt, doch ich brachte es nicht über die Lippen. Hilfe, formte ich das Wort mit meinem Mund und gab mir die größte Mühe dabei.

„Hüfte?“, riet Vera irritiert und lachte auf.

„Ne, oder? Kannst du auch nicht mehr laufen? Was ist mit deiner Hüfte?“, erkundigte sich Dina.

Genervt schüttelte ich den Kopf. Das meine ich doch gar nicht! Ich versuchte es erneut, diesmal mit Erfolg.

„Hilfe“, las mir Dina von den Lippen.

Glücklich nickte ich. Ja, verdammt noch einmal! Ich brauche Hilfe! Dringend!

„Hm, wie sollen wir dir helfen, wenn wir nicht einmal wissen, was passiert ist? Kim, kannst du uns sagen, seit wann das so ist?“

Hallo? Ich kann nicht sprechen, falls es dir aufgefallen ist!, motzte ich im Stummen.

„Stimmt, du kannst ja nicht antworten“, fiel ihr auf, „wie blöd von mir.“

Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht einmal, seit wann ich nicht sprechen konnte. Gestern war alles noch in bester Ordnung, doch nun brachte ich nicht einmal das leiseste Piepen hervor.

„Das ist wirklich merkwürdig. Da müssen wir etwas machen. Zu dumm, dass wir keine Gebärdensprache können“, seufzte Vera.

Fragend blickte ich sie an.

„Mit Gebärdensprache verständigen sich Gehörlose Menschen und diejenigen, die nicht sprechen können. Das bräuchten wir jetzt. Anhand von Gesichtsmimik und Gestiken mit den Händen kann man sich verständigen“, erklärte Vera und fuchtelte in wild mit ihren Händen herum.

„Es sieht so aus, als könntest du Gebärdensprache“, staunte Dina.

Nein, das sieht einfach nur affig aus!, kommentierte ich in Gedanken. Vielleicht war es besser, dass ich nicht mehr alles sagen konnte, was mir in den Sinn kam. Dennoch würde ich gerne wieder sprechen können!

„Das?“ Vera ließ ihre Arme sinken. „Das ist lediglich hilfloses Herumfuchteln. Wenn ich nur planlos auf einem Blatt herumkritzle, schreibe ich schließlich auch nicht gleich.“

Schreiben! Wieso bin ich da nicht gleich drauf gekommen? Ich holte eilig mein Handy hervor und tippte dort meine Antwort hinein.


< Ich kann seit heute Morgen nicht mehr sprechen, weiß aber nicht, woran es liegt.


„Kim, du bist ein Genie!“, kreischte Vera auf, als sie meine Nachricht las, die ich ihr geschickt hatte.

„Schreiben, stimmt!“, bemerkte auch Dina. „Die wohl einfachste Lösung. Wieso sind wir nicht schneller darauf gekommen?“

Ist doch völlig egal. Hauptsache, wir schreiben uns jetzt! Also guckt gefälligst auf euer Handy!, gab ich ihnen mit einem Augenrollen zu verstehen.

„Du hast ja recht.“ Dina verstummte und zückte ebenfalls ihr Handy. „Wieso kannst du nicht mehr sprechen?“


< Gute Frage, das wüsste ich auch zu gerne!


„Hm, wohl wahr.“

Plötzlich brach Vera in lautes Gelächter aus. „Sei mir bitte nicht böse, was ich jetzt sage, Kim. Mir kam gerade nur so ein Gedanke. Wenn du nur schreiben kannst, haben wir endlich eine Möglichkeit, deinem Wortschwall zu entfliehen. Wir können einfach das Handy wegstecken, wenn wir Ruhe wollen.“


< Das machst du nicht! Unterstehe dich!


Wütend blickte ich sie an, um meine Nachricht zu untermalen.

„Ganz ruhig, das mache ich schon nicht, versprochen. Ich will dir schließlich helfen“, versicherte Vera mir beschwichtigend.


< Habt ihr eine Idee, was wir machen können?


Verzweifelt blickte ich meine beiden Freundinnen an, doch auch sie schienen keine zu haben.

„Tut mir leid, Kim, mir fällt gerade nichts ein, das wir tun könnten.“ Traurig schüttelte Vera den Kopf.

Dina zuckte bloß mit den Schultern.


< Vielen Dank auch, ihr seid mir vielleicht eine große Hilfe!


„Sei uns nicht böse“, verteidigte Dina sich und Vera, „wir haben doch nichts damit zu tun. Und von so einem Fall habe ich bisher auch noch nichts gehört.“

„Kennt ihr Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer?“, wollte Vera wissen.

Wenn das ein Witz werden soll, vergiss es. Das ist nicht lustig!, gab ich mit mürrischem Gesichtsausdruck zu verstehen. Vera verstand mich sofort und verstummte. Meine Augen funkelten vor Wut. Ich hätte am liebsten laut los gebrüllt. So laut gebrüllt und meinem ganzen Frust freie Bahn gelassen. Leider war dies jedoch nicht möglich.

„Komm, wir laufen erst einmal eine Runde. Luna muss mal. Vielleicht kommt uns noch eine Idee“, überlegte Dina.

Ich will nicht irgendeine Idee, ich will die Idee, die mir hilft!, fluchte ich.

„Ach, Kim, so schweigsam bist du auch einmal angenehm“, meinte Vera und lächelte mich an.

Ich würde dich am liebsten so sehr anschreien, dass dir deine Ohren abfallen!, hörte ich mich in Gedanken brüllen – leider auch nur da.

„Vorsicht, Kim. Der Koppelzaun, geh nicht zu nah dran“, warnte mich Dina.

Schon durchzuckte mich ein stechender Schmerz. „Au!“, brüllte ich und hielt mir die Hand.

„Ha-hast du gerade gesprochen?“, quiekte Vera auf.

„Nein, ich habe meditiert, du dämliche Nuss!“, gab ich motzend zurück.

„He! Entweder ich kann plötzlich deine Gedanken lesen oder du sprichst wieder“, freute sich Vera. „Auch wenn ich auf deine Beleidigung hätte verzichten können!“

„Hurra! Ich kann wieder sprechen! Wie … wie ist das möglich?“, kreischte ich überglücklich. „Bla, bla, blaaaaaa, blaaabla, blablabla.“

„Übertreib es nicht. Und behalte deine Gedanken bitte wieder für dich!“, wies mich Vera zurecht.

„Ich freue mich für dich, Kim“, meinte auch Dina.

„Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich mich freue.“

„Das glaube ich dir sofort“, sagte Vera. „Bloß spare deine Worte auf, wer weiß, wann du sie wieder einmal brauchst.“

„Ich bin ja schon still“, gab ich niedergeschlagen zurück. Meine Freunde einzubremsen war alles andere als einfach. „Doch eine Sache wüsste ich gerne: Wieso?“

„Wieso was?“ Dina legte den Kopf schief.

„Wieso kann ich wieder sprechen?“

„Freue dich doch einfach darüber“, entschied Vera.

„Vielleicht lag es am Stromschlag. Gewissermaßen ein Defibrillator für die Zunge“, überlegte Dina.

„Ist doch egal. Hauptsache, du kannst wieder sprechen“, fand Vera.

„Ich will aber wissen, wieso ich nicht mehr sprechen konnte!“, beharrte ich.

„Wir können dir aber nicht helfen!“, entgegnete Vera barsch. „Du solltest einen Arzt aufsuchen.“

„Das mache ich auch!“

„Aber jetzt laufen wir erst einmal eine Runde!“, entschied Dina und ließ Luna von der Leine.

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