Kleiner Bär, große Freundschaft (Hörbuch)
- Niklas Böhringer

- 12. Apr. 2024
- 23 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Aug.
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Kleiner Bär, große Freundschaft

Rico ist ein junger Grizzlybär, der sich zum Missfallen der Eltern mit ein paar Hasen angefreundet hat. Diese ungewöhnliche, dafür feste Freundschaft muss geheim-gehalten werden, da eine lange Feindschaft zwischen den Pflanzen- und Fleischfressern dies nicht erlaubt. Auf der Konferenz der Waldtiere versucht er dennoch gemeinsam mit den Hasen, diese Feindschaft zu begraben. Werden sie es schaffen, die anderen Tiere zu überzeugen?
Ein junger Bär.
Viele kleine Hasen.
Eine Freundschaft für immer.
01 Aus dem Schlaf erwacht
Rico, der kleine Grizzlybär, saß vor der Höhle und ließ sich die ersten Sonnenstrahlen des Tages in sein Gesicht scheinen. Seine Eltern schliefen noch tief und fest. So beschloss er, seine Freunde, die Hasen zu besuchen. Diese besondere Freundschaft zwischen ihnen musste er geheim halten, denn würde sein Vater sie entdecken, war die Gefahr groß, dass er sie als seine Mahlzeit sah.
Rico schlich leise davon und entfernte sich zügig von der Höhle. Als er weit genug gelaufen war, begann er zu rennen. Er jagte seinen Schatten, der ihm vorauseilte. Die noch sehr tief stehende Sonne tauchte den Wald in ein magisches Licht, das die Pflanzen zu erleuchten schien.
Als er den nahe gelegenen Fluss erreichte, trank er reichlich. Und wie ein anständiger Bär es machen musste, wusch er sich auch seine Pranken und den Kopf. Das hatte ihm sein Vater einmal beigebracht. Da er natürlich ein anständiges Bärchen war, wusch er sich gewissenhaft. Nun war er bereit, um seine Freunde zu besuchen.
Erneut vergewisserte er sich, dass ihm seine Eltern nicht gefolgt waren. Er blickte sich um und war allein. So lief los und summte eine kleine Melodie vor sich hin, die ihm in den Kopf gekommen war. Das Zwitschern der Vögel hatte er schon oft nachmachen wollen, doch es war ihm nie gelungen. So hatte er seine eigenen Laute erfunden, die er von sich gab. Das Brummen und Brüllen beherrschte er zwar auch – wenn auch noch lange nicht so gut wie sein Vater –, doch seine eigenen Laute gefielen ihm noch besser.
„Guten Morgen, liebe Vögel“, rief er in die hohen Bäume, die weit über ihm ragten. Die melodischen Klänge der Vögel drangen als Antwort an seine Ohren. Glücklich ließ er seine eigenen Laute erklingen.
„Guten Morgen, Wald“, begrüßte er auch seine Umgebung, die er so liebte. Die Bäume schienen sogar zu antworten, denn sie raschelten mit ihren Blättern, was Rico als die Stimme der Bäume wahrnahm. Er freute sich immer, wenn er allein und ungestört durch den Wald laufen konnte. Unbeschwert und sorgenlos, wie er es schon immer getan hatte.
Rico, der inzwischen schon drei Jahre alt war, genoss noch immer die frühen Stunden des Tages, wenn seine Eltern noch schliefen und er ungestört die Gegend erkunden konnte.
Noch vor wenigen Tagen hatte er, eng an seine Eltern gekuschelt, Winterruhe gehalten. Doch das war nun endlich vorbei und er war wieder wach. Das neue Frühjahr konnte beginnen. Er war bereit dazu. Bereit dazu, seine Freunde zu besuchen, mit ihnen zu spielen und im Wald zu toben. Den ganzen Winter über hatte er davon geträumt, nun sah er sie endlich wieder. Er konnte es kaum erwarten.
02 Bei den Hasen
„Hallo, Rico, du Langschläfer.“ Hopelina, das einzige Mädchen unter den Hasen, die schon lange mit Rico befreundet waren, winkte ihm freudig zu.
„Ich bin kein Langschläfer!“, beschwerte sich der kleine Bär, doch er musste zugeben, dass er deutlich länger als die Hasen schlief. „Wo sind all die anderen?“ Suchend schaute sich Rico nach den anderen Hasen um, doch er konnte sie nirgends finden.
Beschämt wandte die junge Häsin den Blick ab. „Sie … sie schlafen noch. Aber sie haben keine Winterruhe gehalten, wie du! Sie sind einfach so Faulpelze!“ Den letzten Teil hatte sie absichtlich lauter gesagt. Kurz darauf erschienen bereits die Näschen ihrer Brüder am Eingang des Baus. Als Faulpelze wollten sie sich nämlich nicht bezeichnen lassen.
„Wer nennt uns Faulpelze?“, empörte sich Hops. Er sprang hinaus ins Freie. Als er den jungen Grizzly entdeckte, begrüßte er ihn freudig. Hops und Rico waren die besten Freunde. Sie hatten am meisten zusammen unternommen und auch schon das ein oder andere Mal die Geschwister reingelegt.
„Niemand. Ich bin auch gerade erst aus meiner Winterruhe aufgewacht. Meine Eltern schlafen zum Glück noch. Sonst könnte ich hier nicht so einfach auftauchen. Da hätte ich viel vorsichtiger sein müssen“, erklärte Rico. Auch die Hasen wussten um die Gefahr, die von Toby, Ricos Vater, ausging.
„Unsere Mama schläft noch“, erklärte Hopedix erleichtert. Er war von Natur aus ängstlich und fürchtete sich sogar manchmal vor seiner eigenen Mutter, die sehr temperamentvoll war. Als kleinen Hasen hatten ihm herabfallende Blätter einen so großen Schrecken eingejagt, dass er sich mehrere Tage nicht mehr aus dem Bau heraus getraut hatte. Doch inzwischen war das anders. Blätter konnten ihm keine Angst mehr einjagen.
„Habt ihr Lust, etwas zusammen zu spielen? Ich habe den ganzen Winter davon geträumt. Jetzt kann ich es kaum abwarten.“ Rico tippelte voller Vorfreude auf der Stelle herum.
„Klar, wir haben es auch vermisst, mit dir zu spielen“, meinte Hops und grinste über das ganze Gesicht. „Wie wäre es mit Eichelkönig? Wir haben extra auf dich gewartet, denn ohne dich macht es keinen Spaß mehr.“
„Schon klar“, empörte sich Rico, „aber auch nur, weil ich jedes Mal gewinne!“ Bei diesem Spiel verloren nämlich alle freiwillig, da die „Ehre“ des Gewinners es war, in der nächsten Runde der Schiedsrichter zu sein. Das war eine ebenso ermüdende wie endlose und langweilige Aufgabe, die keiner gerne übernahm.
„Könnte noch jemand die Regeln erklären? Nur um sicherzugehen, dass ich nicht versehentlich doch gewinne. Wir haben es schon so lange nicht mehr gespielt“, fand Jammerhop, der ohnehin an allem etwas zum Aussetzen fand. Vor allem bei diesem Spiel zu gewinnen, würde ihm mehr Potenzial zu meckern geben, als seine Geschwister verkraften konnten. Daher vermieden sie es weislich, ihn gewinnen zu lassen. Denn auch, wenn das gegen die Regeln war, suchte sich der Schiedsrichter am Ende meist wahllos irgendeine Eichel aus.
03 Eichelkönig
„Ich erkläre es dir“, bot Hops an. Er fand es zwar verrückt, doch wenn sein Bruder darauf bestand. Schon Rico hatte er damals die Regeln zu diesem Spiel, das sie sehr oft spielten, erklärt. „Jeder sucht sich eine Eichel, außer der Schiedsrichter, der am Ende alle Eicheln bewertet. Der mit der schönsten Eichel gewinnt.“
„Können wir dann endlich anfangen?“ Ungeduldig scharrte Hopelina mit ihren Pfoten auf dem Boden. „Falls du nicht mehr weißt, nach welchen Kriterien bewertet wird: nach jeder. Größe, Geruch, Geschmack, Farbe, Alter, Festigkeit, Form, Gewicht, Klang, Oberfläche … mehr fällt mir momentan nicht ein.“
„Danke, ich glaube, ich habe es verstanden“, gab Jammerhop zurück. „Dann können wir jetzt anfangen.“
Schon schwärmten die Hasen und der kleine Grizzlybär in sämtliche Richtungen und durchforsteten den Boden nach möglichst hässlichen Eicheln. Rico erinnerte sich, dass er am Anfang tatsächlich die schönste Eichel gesucht hatte – und natürlich auch gefunden. Doch inzwischen wusste er, dass man bei diesem Spiel lieber verlieren sollte, weswegen er auch nach einem möglichst hässlichen Exemplar suchte. Hier ging es eher darum, sich zu unterbieten, um am besten auf dem letzten Platz zu landen.
Nun stöberte er herum und versuchte eine unansehnliche Eichel aufzuspüren. Leider wollte es im nicht gelingen. Scheinbar die schönsten Eicheln des Waldes warfen sich genau vor ihn und forderten ihn gerade so dazu auf, genommen zu werden. Rico wollte jedoch unbedingt verlieren, so suchte er angestrengt weiter, bis er endlich Erfolg hatte. Als er zurückkehrte, standen die Hasen bereits bereit. Jeder von ihnen trug eine Eichel im Maul.
Um die Eicheln zu markieren, ritzte nun jeder Hase mit seinen Zähnen seine Initialen in die Eichel hinein, ehe sie ihre Fundstücke abgaben. Rico verwendete dazu als Einziger seine Krallen. Seine Initialen lauteten Rc. Heimlich nagte er noch etwas an der Oberseite herum, um die Eichel zusätzlich hässlicher zu machen, doch diesen Trick verwendeten auch die Hasen seit Langem. Jeder tat das! So erwies sich die Bewertung beinahe als unmöglich, denn zwischen „hässlich“, „noch hässlicher“ und „potthässlich“ eine halbwegs schöne Eichel auszusuchen, war selbst für einen blinden Hasen kaum machbar.
Meist, so hatte es auch Rico damals aus Verzweiflung getan, suchte der Schiedsrichter sich eine Eichel wahllos heraus und bestimmte diese als die Gewinner-Eichel. Schließlich konnten die anderen nichts dagegen sagen.
Sobald der Gewinner bekanntgegeben wurde, lachten alle den unglücklichen Sieger – diesmal war es Hopelina – aus. Doch das nicht aus Gehässigkeit. Es war die pure Erleichterung, nicht selbst gewonnen zu haben. Denn jedes Mal wurde der Gewinner ausgelacht, da es keine größere Blöße geben konnte.
„Glückwunsch, Hopelina“, grinste Rico und warf glücklich die übrigen Eicheln zurück in den Wald. „Weg damit“, rief er, „diese schnöden Dinger brauchen wir nicht mehr!“
04 Bären sind Feinde, keine Freunde!
Hopelina warf genervt ihre Sieger-Eichel hinterher. Sie akzeptierte, dass sie gewonnen hatte, doch glücklich machte sie das nicht.
Unerwartet tauchte ein weiterer Kopf aus dem Hasenbau auf: die Hasenmutter. Sie war wie Toby nicht erfreut über die Freundschaft zwischen ihren Hasenkindern und einem Grizzlybären. Womöglich würde er sie fressen, wenn sie einmal Streit hatten oder wenn er selbst groß und gefährlich sein würde.
„Bären sind Feinde, keine Freunde! Wann begreift ihr das endlich?“, empörte sie sich und fixierte Rico mit einem strengen Blick. Damit schüchterte sie selbst den Jungbären ein, der einige Schritte zurückwich, als sie sich ihm näherte.
„Von mir geht keine Gefahr aus. Bestimmt nicht! Ich würde nie etwas tun, was meinen Freunden schaden könnte“, versicherte er, doch die Hasenmutter winkte nur ab.
„Schau deinen Vater an! Er ist die Gefahr in Person. Eines Tages bist du so wie er, dann will ich dir auf keinen Fall begegnen. Und nicht nur das. Wenn du einmal unvorsichtig bist, könntest du ihn direkt an unseren Bau locken.“ Verärgert richtete sich die Häsin auf, die sich sehr um sich und vor allem um ihre Kinder sorgte. „Für ihn sind wir ein Festmahl. Ich habe schon ein Kind an ihn verloren. Ein weiteres werde ich nicht zulassen!“
Rico kannte die Geschichte. Lange bevor er geboren wurde, hatte sein Vater eines der Kinder dieser Häsin gefressen. Darum konnte er ihre Angst gut verstehen, doch er selbst würde so etwas nie tun. Aber er wusste auch, dass sie sich heldenhaft gewehrt hatte und Toby mit einem gezielten Biss in dessen Schwanz verjagt hatte. Diese Häsin wusste sich zu wehren. Aus diesem Grund hielt Rico auch einen Sicherheitsabstand ein, um ihr nicht zu nahe zu kommen.
„Ich verspreche dir, dass ich alles dafür tun werde, um euch zu beschützen“, versicherte Rico. Er fasste neuen Mut und näherte sich der Häsin etwas, doch augenblicklich entblößte sie ihre spitzen Zähne und Rico trat rasch zurück.
„Papperlapapp! Du bist und bleibst eine Gefahr!“, fauchte sie. Das Mucken, das sie anschließend von sich gab, ließ sie weniger angriffslustig wirken, dennoch kannte Rico sie nur zu gut. Auch ihm hatte sie schon einmal in den Stummelschwanz gebissen. Das wollte er unter keinen Umständen noch einmal erleben müssen.
„Mama“, schaltete sich endlich Hops ein, „Rico ist unser Freund und wir vertrauen ihm. Vor seinem Vater haben auch wir Angst, aber schließlich sind wir mit Rico und nicht mit Toby befreundet.“ Zustimmend versammelten sich nun die Hasenkinder rund um den Jungbären und setzten sich. So wollten sie ihrer Mutter zu verstehen geben, dass Rico ein Teil von ihnen war und er dazugehörte. Egal, was sie dazu sagte. Er war und blieb ihr Freund. Daran konnten weder der Grizzlyvater noch die Hasenmutter etwas ändern.
„Bei der Eichel!“, fluchte die Häsin erbost. „Wieso müsst ihr nur so stur sein? Wieso wollt ihr nicht begreifen, dass aus Rico früher oder später eine tödliche Gefahr werden kann?“
„Weil er unser bester Freund ist!“
05 Bloß keinen Verdacht erregen!
„Wer sich seinen Feind zum Freund macht, ist vollkommen übergeschnappt!“, japste die Mutter aufgebracht.
„Wer sich seinen Feind zum Freund macht, hat keinen Feind mehr“, meinte Rico, der noch immer verzweifelt die Hasenmutter überzeugen wollte, dass von ihm keine Gefahr ausging.
„Ach, dann spielt doch zusammen!“, motzte sie nun ihre Kinder an, die noch immer um Rico geschart standen. „Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt!“ Damit drehte sie sich um und verschwand im Bau.
„Mach dir nichts daraus. Du weißt, Mama ist streng und skeptisch. Spielen wir einfach weiter“, meinte Hopelina, die zwar etwas betrübt war, es sich aber nicht anmerken ließ. Sie versuchte, die schlechte Stimmung zu überspielen.
„Nein, tut mir leid. Ich sollte auch wieder nach Hause gehen. Nicht, dass meine Eltern aufwachen und ich bin nicht da. Sicher suchen sie mich.“ Rico verabschiedete sich von seinen Freunden und kehrte zur elterlichen Höhle zurück. Auf dem Rückweg grübelte er, wie er der Hasenmutter beweisen konnte, dass er ein liebes Bärchen war und ihr und ihren Kindern nie etwas zuleide tun würde. Aber ihm fiel leider keine Antwort auf diese Frage ein.
Tatsächlich waren seine Eltern schon wach, denn seine Mutter Shira und sein Vater Toby hockten an den Eingang gelehnt und ließen sich, wie Rico zuvor, das Gesicht von den ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Frühlings bescheinen.
„Rico, mein kleiner Herumtreiber“, rief Shira erfreut, als sie ihren Sohn erblickte, „schon so früh unterwegs? Was hast du gemacht?“
„Guten Morgen, Mama und Papa.“ Kurz stockte er. Von den Hasen durfte er nichts erzählen. Was sollte er stattdessen sagen? „Ich“, setzte er langsam an, doch dann sprudelte es nur so aus ihm heraus: „Ich war am Fluss und habe mir das Gesicht gewaschen. Das machen anständige Bärenkinder schließlich so. Dann habe ich den Wald begrüßt und mit den Bäumen geredet. Ihr werdet es nicht glauben: Sie haben mir sogar geantwortet. Sie haben mit den Blättern geraschelt.“
„Wie schön“, freute sich Toby, „dass du so anständig bist. Gerade nach einem so langen Schlaf ist es wichtig, sich gründlich zu putzen. Und genau das werde ich jetzt tun.“ Der große Bär rappelte sich auf und trabte ebenfalls zum Fluss, an dem sich bereits Rico erfrischt hatte.
„Warte!“ Shira, die sich natürlich auch frischmachen wollte, sprang auf und folgte ihrem Mann. Rico jedoch blieb allein an der Höhle zurück und genoss die Sonne. Seit sein Vater ihn im Vorjahr in den kalten Fluss geworfen hatte, vermied er es, gemeinsam mit ihm in die Nähe des Wassers zu gehen. Noch einmal wollte er sich nicht nass machen lassen.
Wieder summte er seine eigene Melodie vor sich hin, die ihm so gut gefiel.
„Was summst du da?“, wollte eine Stimme hinter ihm wissen und Rico sprang erschrocken auf. Er fuhr herum und konnte seinen Augen kaum trauen.
06 Vorbereitungen
„Hopedix, was machst du denn hier?“ Ausgerechnet Hopedix, der schüchternste Hase, den Rico kannte, hatte sich zu ihm gewagt. „Ist etwas passiert?“
„Keine Sorge. Ich habe mich angeschlichen und gewartet, bis deine Eltern weg waren“, versicherte er. Jeder Hase kannte das Risiko, sich ausgewachsenen Grizzlybären zu nähern. Es konnte sehr gefährlich sein. „Ich wollte dir Bescheid geben, dass bald die Konferenz der Waldtiere abgehalten wird. Das habe ich völlig vergessen, dir zu sagen. Auch wollte ich fragen, ob du uns helfen kannst, denn unsere Mama leitet die Konferenz und wir müssen noch einiges vorbereiten. Die Einladungen verteilen, den Platz herrichten und Vieles mehr.“
„Natürlich helfe ich euch“, versprach Rico. Er sah eine neue Gelegenheit, sich der Hasenmutter beweisen zu können.
Als sie den Hasenbau erreichten, saßen sowohl die Kinder als auch die Mutter am Bau und warteten. Zwar schenkte die Häsin Rico keinerlei Beachtung, doch er wollte nicht aufgeben.
„Hallo, da bin ich. Ist das wahr, dass es eine Konferenz gibt, die du“, er sah die Mutter an, „leiten wirst?“
„Es ist wahr“, betonte Hopelina. Ihre Mutter zeigte keine Reaktion. „Dann los. Wir müssen noch die Einladungen …“, fuhr sie fort, doch Hopedix unterbrach sie.
„Das habe ich ihm bereits alles erklärt“, informierte er und Rico nickte wissend.
„Umso besser. Dann kannst du gleich mit mir kommen. Während meine Brüder die Einladungen schreiben, können wir den Versammlungsplatz vorbereiten. Mama, hilfst du uns auch?“ Hopelina legte den Kopf schief und guckte ihrer Mutter in die Augen, doch auf eine Antwort wartete sie vergeblich. „Dann eben nicht“, motzte sie. „Komm, Rico, Mama ist kindisch. Sie kommt bestimmt nach!“ Dieser Satz war an ihre Mutter gerichtet, in der Hoffnung, sie würde auch ohne zu sprechen ihnen helfen.
„Ich bin sehr gespannt, was alles auf dieser Konferenz passiert“, meinte Rico. Eine Konferenz hatte er bereits einmal miterlebt, allerdings war die Häsin zu diesem Zeitpunkt krank gewesen und ein Warzenschwein hatte die Konferenz geleitet. Leider hatte es mehr Probleme geschaffen als beseitigt. Doch zum Glück war Mutter Hase diesmal gesund und voller Energie.
„Hier, hilf mir mal, diesen Baumstumpf abzufegen. Da sitzt Mama nämlich drauf. So kann sie alle überblicken und hat eine gute Position, dass auch sie von allen Tieren gesehen wird.“ Hopelina war stolz, dass ausgerechnet ihre Mutter die Leiterin der Konferenz der Waldtiere war, auch wenn es viel Arbeit mit sich brachte.
Gemeinsam richteten sie den Sitzplatz her und befreiten auch den umliegenden Bereich von Blättern und kleinen Zweigen, die der Wind hier verbreitet hatte. Wenige Minuten später sah man bereits eine Veränderung, was die beiden umso mehr motivierte.
Hopelina atmete nach einiger Zeit genervt aus: „Zum Glück haben wir schon angefangen und sind fast schon wieder fertig. Mama ist immer noch nicht aufgetaucht!“
07 Einladungen verteilen
Gerade als Rico das letzte Blatt aufhob, erschien die Hasenmutter und prüfte den vorbereiteten Platz.
„Sehr schön“, lobte sie. „Ich bin stolz auf euch. Auch auf dich, Rico, obwohl ich dir noch immer nicht über den Weg traue!“
„Bei der runzligen Eichel, Mama!“, stieß Hopelina empört aus. „Weißt du, Rico schuftet hier für dich, richtet mit mir alles her – du glänzt ja durch Abwesenheit – und du traust ihm immer noch nicht. Was soll er machen? Mich fressen? Da hätte es genug Situationen gegeben, in denen er nicht nur mich, sondern auch meine Geschwister hätte fressen können. Wann akzeptierst du ihn endlich?“
Aufmerksam hatte die Häsin ihrer Tochter gelauscht. Ihre Worte brachten sie zum Nachdenken. „Kümmert euch lieber um die Einladungen. Deine Brüder sind fertig. Sie können verteilt werden.“
„Komm, Rico, wir verteilen auch noch die Einladungen!“ Hopelina zog den verdatterten Jungbären hinter sich her. „Wir machen gerne alle Aufgaben, während Mama sich hier ausruht!“
Die anderen Hasenkinder empfingen sie leicht niedergeschlagen. Wahrscheinlich hatte ihnen die Mutter großen Druck gemacht, dass sie anständig schrieben. Schließlich sollten es die anderen Tiere lesen können.
„Mama hat gesagt, dass ihr fertig seid?“
„Sind wir“, nickte Jammerhop, „aber sie hat uns die ganzen Einladungen zweimal schreiben lassen, da es ihr nicht schön genug war.“
„Dann los.“ Hopelina schnappte sich einen Stapel und band ihn auf Ricos Rücken, der es kommentarlos geschehen ließ. Da er viel stärker als die Hasen war, trug er die Einladungen gerne.
Die beiden brachen auf und überreichten allen Tieren, die sie auf ihrem Spaziergang über den Weg liefen, eine Einladung. Diejenigen, die sie nicht fanden, suchten sie an deren Zuhause auf. Alle Tiere freuten sich sehr und boten den beiden Auslieferern an, einen Moment zu bleiben, doch sie lehnten überall dankend ab.
„Und wie bringen wir meinen Eltern eine Einladung?“, überlegte Rico. Ihm wurde plötzlich bewusst, dass er dort nicht so einfach mit Hopelina auftauchen konnte. Erstens würden sie zu viele Fragen stellen und zweitens war es für Hopelina zu riskant.
„Stimmt“, fiel auch dem Häschen auf. „Was, wenn wir ihnen die Einladung einfach vor die Höhle legen? Dann sehen sie weder dich noch mich.“
„Eine tolle Idee“, fand Rico. So setzten sie ihren Plan in die Tat um. Erleichtert stellte der kleine Bär fest, dass seine Eltern anscheinend noch am Fluss waren, denn die Höhle war leer.
Eilig zog Hopelina eine Einladung von Ricos Rücken und platzierte sie vorm Höhleneingang, dass die Eltern sie direkt sahen, wenn sie zurückkamen. Schnell verschwanden sie wieder, um nicht unvorhergesehen überrascht zu werden.
08 Eine Einladung für die Grizzlybären
„Was ist das?“ Shira, die zusammen mit Toby vom Fluss zurückkehrte, hatte die Einladung entdeckt.
Rico hatte es sich, nachdem sie die Einladungen fertig ausgeteilt hatten und er rechtzeitig wieder an der Höhle angekommen war, auf der Höhle gemütlich gemacht. Mit gespielt erstaunter Stimme rief er: „Was ist was?“ Geschickt kletterte er die Höhle hinunter und begutachtete die Einladung ebenfalls. „Was ist das?“, fragte er ahnungslos.
„Einladung zur Konferenz der Waldtiere“, las Toby vor. „Was für eine hässliche Schrift!“, beschwerte er sich.
„Eine Konferenz? Wie toll!“ Begeistert sprang Rico in die Höhe. „Juchhu! Ich freue mich!“ Rico beugte sich vor. „Lies weiter, lies schnell weiter!“
„Wir versammeln uns in zwei Tagen. Start: Morgen; Ende: ungefähr Mittag“, entzifferte Toby die nächste Zeile.
„Das ist eine nette Überraschung“, lachte Shira und umarmte liebevoll ihren kleinen Bären, der kaum zu beruhigen war. Die ganze Zeit hatte Rico diese Freude unterdrücken müssen, doch nun konnte er sie endlich herauslassen. Jetzt, da seine Eltern die Einladung gelesen hatten und er offiziell davon wusste.
„Herrje“, stöhnte Toby, dem schon die letzte Konferenz auf die Nerven gegangen war. Zu gerne hätte Rico gesagt, dass er sich keine Sorgen machen musste, da die Hasenmutter die Konferenz diesmal wieder hielt und nicht das Warzenschwein, doch wie sollte er das sagen, ohne sich zu verraten?
„Wieso seufzt du?“, fragte er stattdessen. Abwartend musterte er seinen Vater, doch dieser schien nicht darüber sprechen zu wollen.
„Warum ich seufze?“ Toby hob den Kopf. „Das hat viele Gründe. Zum einen ist es mir zu nervig, diese Konferenz zu besuchen, zum anderen war sie letztes Mal nicht sonderlich gut, falls du dich daran erinnerst.“
„Aber die Häsin hält doch wieder die Konferenz“, platzte es aus Rico heraus. Da er merkte, wie sein Vater ihn anstarrte, fügte er noch schnell hinzu: „Das hoffe ich jedenfalls.“
Shira meldete sich nach längerem Schweigen zu Wort, denn sie wollte sich nicht verrückt machen und abwarten, was auf sie zukam. Das riet sie auch ihren beiden Lieblingsbären.
„Das sagst du so einfach. Von wegen, ich soll es auf mich zukommen lassen“, klagte Toby. „Ich kann dir jetzt schon sagen, dass es wieder ein totaler Reinfall wird. Da wird es auch durch diese Zwischenmahlzeit-Häsin nicht besser!“
„Vergiss nicht, wir fressen diese Hasen nicht!“, mahnte Shira streng. Sie fraß schon seit Langem nur Fleisch, wenn es nicht vermeidbar war. Ansonsten ernährte sie sich von Wurzeln und Knollen, die sie ausgrub. Das beherrschte sie inzwischen meisterhaft. Auch Rico hatte sie das Suchen beigebracht.
„Ja!“ Toby atmete schwer. Natürlich hatte er es nicht vergessen. Doch das hieß nicht, dass es ihm gefiel.
09 Konferenz der Waldtiere
Ehe sich Rico versah, war die Zeit vergangen und er war auf dem Weg zur Konferenz der Waldtiere. Genauer gesagt saß Rico auf dem breiten Rücken seines Vaters und ließ sich tragen, denn so konnte er besser sehen.
Als die Grizzlybären die Konferenz erreichten, war sie schon gut besucht. Augenblicklich wichen einige der kleineren Tiere zurück, als sie die großen Bären erblickten und vergrößerten ihren Abstand zu ihnen. Rico war traurig darüber, doch ihm war klar, dass diese Angst mehr als berechtigt war. Vor allem bei seinem Vater. Von Shira, die sich größtenteils nur noch von Pflanzen ernährte, ging eine wesentlich geringere Gefahr aus.
„Herzlich willkommen auf der Konferenz der Waldtiere.“ Die Hasenmutter hatte ihren Platz auf dem Baumstumpf eingenommen und thronte dort mit hocherhobenem Kopf. „Ich freue mich“, fuhr sie fort, „dass ihr so zahlreich erschienen seid.“ Sie ließ ihren Blick durch die Reihen wandern und nickte zufrieden.
Von der kleinsten Maus bis zu den Bären waren alle Tiere anwesend und lauschten ihr aufmerksam. Auf der Konferenz wurde über Probleme gesprochen, die die Tiere untereinander hatten oder wenn die Nahrung knapp wurde. Dafür suchten sie dann gemeinsam eine Lösung. Die Häsin erinnerte sich an ihre erste Konferenz vor vielen Jahren, als der Sommer fast alle Wasserquellen ausgetrocknet hatte. Auch bei diesem Problem hatten die Tiere eine Konferenz abgehalten und beratschlagt, was sie unternehmen konnten. Zum Glück gab es dieses Jahr reichlich an Wasser.
„Dann wollen wir beginnen.“ Sie machte eine Pause, ehe sie mit fester Stimme weitersprach: „Hat jemand ein Anliegen, das besprochen werden muss? Dann bitte ich dieses Tier zu mir nach vorn.“ Wie immer dauerte es kurz, bis sich die ersten Pfoten und Pranken hoben, doch dann schienen die Tiere munter zu werden und hier und da wurde eine Pfote gehoben.
Als Erstes durfte eine Spitzmaus vortreten. Da sie allerdings sehr leise sprach, fiepte sie ihr Anliegen der Häsin ins Ohr und sie übernahm das Sprechen.
„Frau Maus beklagt, dass die Fleischfresser unter uns kaum noch eine sichere Aufzucht ihrer Kinder ermöglicht. Sie hat Angst und überlegt, ob sie auswandern soll, wenn sich nicht etwas ändert“, schilderte die Häsin die Sachlage.
„Und was sollen wir dann fressen?“, erhob ein Fuchs das Wort. „Ich will schließlich nicht dieser Maus zuliebe verhungern. Ich und meine Jungen müssen sich irgendwie ernähren.“
„Aber doch nicht von uns!“, piepte die Maus empört, doch das hörte niemand.
„Vielleicht finden wir eine Möglichkeit“, meldete sich Shira zu Wort. „Ich fresse schon lange überwiegend Wurzeln und Knollen. Davon werde ich satt. Probiert es doch mal aus.“
„Ein toller Vorschlag“, lobte die Häsin und nickte der Maus zu, die erleichtert umkippte.
„Ich zeige euch, wie ich sie finde und ausgrabe. Das ist ganz leicht“, meinte Shira noch. Sichtbar genervt nickten die Füchse, denn Mäuse gehörten zu ihrer Leibspeise, die sie nur ungern aufgaben.
10 Das Problem der Kleinen mit den Großen
„Unverschämt!“, klagte eine Füchsin, die sich um ihre Kinder sorgte. „Wir zwingen die Mäuse auch nicht, Fleisch zu fressen!“
„Ihr werdet es überleben“, fand sich die Hasenmutter damit ab, „wenn wir Pflanzenfresser davon leben können, schafft ihr es auch! Mir ist bewusst, dass es vor allem am Anfang schwer wird, aber ihr gewöhnt euch daran.“
Die kleine Maus, die aus ihrer Ohnmacht erwacht war, huschte flink zu ihren Artgenossen zurück. Dieses Problem anzusprechen, hatte all ihren Mut gebraucht. Noch immer schlug ihr das Herz bis zum Hals, doch die Erleichterung darüber, dass ihre Bitte erhört worden war, ließ sie ruhiger werden.
„Gibt es weitere Probleme, die wir noch beseitigen können?“, wandte sich die Häsin aufmerksam an alle Tiere. Sie ließ aufmerksam ihren Blick schweifen, ehe sie … ihre Tochter nach vorne holte. „Hopelina?“, stutzte sie.
„Ja, genau die bin ich“, grinste sie und nahm den Platz ihrer Mutter ein. Sie richtete sich auf, atmete einen Moment tief durch, dann begann sie zu sprechen: „Ich freue mich, dass so viele Tiere erschienen sind. Mein Anliegen ist folgendes: Ich hätte gerne, dass ausnahmslos alle Kinder – egal, ob Bär, Hase oder Maus – miteinander spielen dürfen und die Eltern nicht drohen, die Freunde ihrer Kinder zu fressen, da sie auf ihrer Speisekarte stehen. Das finde ich furchtbar!“
Rico wusste nicht, wie er auf diese Ansprache reagieren sollte. Auch er wünschte sich nichts mehr, als gefahrlos mit seinen Hasenfreunden zu spielen, ohne dass sein Vater sie jeden Moment verspeisen konnte, falls er sie fände. Vorsichtig schielte er zu seinen Eltern, um deren Reaktion aufzufangen. Shira schien kein Problem damit zu haben, doch Toby sah aus, als wollte er jeden Moment aufspringen und Hopelina vor den Augen aller fressen.
„Ich bin der gleichen Meinung!“, hörte er sich nun sagen. Selbst erstaunt darüber, dass er es wirklich getan hatte. Der kleine Bär stand auf und lief zu Hopelina nach vorn, damit jeder ihn und die kleine Häsin gut sehen konnte. „Wir sind Freunde und es macht uns großen Spaß, zusammen zu spielen.“ Dabei blickte er seine Eltern an. Wie würden sie wohl reagieren?
„Das gibt es doch nicht!“, empörte sich Toby. „Hasen und Bären können unmöglich Freunde sein! Hasen werden von uns gefressen!“
„Nein, Papa! Die Hasen sind meine Freunde und niemand wird meine Freunde fressen!“, stand Rico für sie ein. „Mir ist es egal, was du darüber denkst, aber du wirst sie nicht mehr anrühren. Wenn du ihnen etwas antust, dann will ich nicht mehr dein Sohn sein!“
„Hörst du dir überhaupt zu, was du sagst, Sohnemann?“, schalt Toby. Er konnte sich nur schwer beherrschen. Shira, die sanftmütig lächelte, fand es großartig, dass ihr Sohn für seine Freunde einstand. Sie versuchte, Toby zu beruhigen.
Die Hasenmutter, die schon länger von der Freundschaft zwischen dem Jungbären und ihren Kindern wusste, war verblüfft, dass Rico sie gegen seinen Vater verteidigte. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.
11 Frieden?
War es möglich, dass es Frieden zwischen ihnen geben konnte? So viele Jahre waren die Pflanzenfresser und die Fleischfresser verfeindet gewesen und keiner der Eltern erlaubte den Kindern, mit der jeweils anderen Spezies zu spielen. Die Häsin begriff plötzlich, dass das keinen Unterschied machte, ob nun Hase und Hase oder Bär und Hase miteinander spielen. Solange die Kinder Spaß miteinander hatten, war doch alles in Ordnung.
Das sah auch Shira so, denn sie meldete sich zu Wort: „Rico, ich finde es spitze, dass du dich für deine Freunde einsetzt. Ganz egal, ob es Hasen oder andere Tiere sind. Ich freue mich, wenn du gute Freunde zum Spielen hast.“ Sie wandte sich an Toby. „Bei meiner Pranke! Jetzt stelle dich nicht so an und reiße dich gefälligst zusammen!“
Toby saß zähnefletschend neben ihr und fixierte mit grimmiger Miene seinen Sohn und den Junghasen, der auf dem Baumstumpf hockte. Doch weder Rico noch die Hopelina ließen sich davon beirren. Sie rückten näher zusammen und demonstrierten den anderen Tieren ihre Freundschaft, in dem sie Pfote in Pranke zu Hopelinas Geschwistern liefen. Die anderen Hasenkinder verstanden und erhoben sich ebenfalls. Im Nu waren sie auf Ricos Rücken geklettert, der stolz eine Runde drehte.
„Ist das zu fassen?“, keifte Toby. „Das hat es noch nie gegeben! Hasen können nicht mit Bären befreundet sein!“
„Ich habe es mir auch lange nicht eingestehen wollen“, erklärte die Hasenmutter, deren Zweifel ein für alle Mal beseitigt waren, „aber wenn du sie zusammen spielen siehst … ich habe es mir schlechtgeredet, doch es gibt nichts Schöneres als glückliche Kinder, die unbeschwert lachen und gemeinsam toben. Ungeachtet der Erwachsenen, die ihnen durchgehend das Leben schwer machen.“
„Meinst du das wirklich, was du gerade gesagt hast?“ Hopedix starrte seine Mutter an und wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Endlich hatte sie Rico akzeptiert und verteidigte ihn sogar gegen den Bärenvater, der sie mühelos hätte fressen können.
„Ich finde es dennoch falsch!“ Toby blieb stur und wollte nicht verstehen, dass sein Sohn mit diesen Hasen befreundet sein wollte. Sie waren doch viel zu mickrig … und Nahrung!
Die übrigen Tiere brachen in lauten Jubel aus und applaudierten den Kindern, denn auch sie waren es leid, ständig in Angst zu leben, gefressen zu werden. Wenn diese Gefahr beseitigt werden konnte – oder zumindest verringert – wäre ihr Leben wieder viel harmonischer und friedvoller.
Als die Kolonne an den Grizzlybären vorbeikam, hielt Shira ihren Mann zurück, damit dieser nicht vorspringen konnte und womöglich einen der Hasen erwischte. Doch die Zurufe der anderen Tiere ermutigten die Kinder, und so liefen sie unbeirrt weiter. Die Hasenmutter, die wieder auf ihrem Baumstumpf Platz genommen hatte, schaute ihren Kindern mit ein paar Tränen in den Augen dabei zu. Der Anblick war wirklich rührend. Lange hatte sie es nicht wahrhaben wollen, doch nun war ihre Freude darüber umso größer.
12 Wenn aus Feinden Freunde werden
Shira erhob sich und steuerte direkt auf die Häsin zu. Toby wusste nicht recht, was er davon halten solle. Hatte es seine Frau endlich verstanden und fraß diese aufmüpfige Hüpfgestalt? Doch was dann geschah, ließ ihm fast die Augen überquellen. Shira reichte der Häsin ihre Pranke, wie es zuvor Hopelina und Rico getan hatten, und diese legte ihre Pfote hinein.
„Frieden“, riefen sie gemeinsam, nachdem sich die Häsin gefasst hatte. Auch sie hatte es nicht glauben können. Sie hielt tatsächlich die Pranke eines Bären an ihrer Pfote. Mehrmals musste sie hinsehen, in der Angst, es sich nur eingebildet zu haben. Ein letzter Kniff in ihren eigenen Fuß machte ihr bewusst, dass es die schöne Realität war, die sie gerade durchlebte.
Auch die anderen Waldtiere reichten sich die Pranken, Pfoten, Hufe und Flügel, um ihre Verbundenheit zu zeigen. So bildeten sie einen Kreis, der ihnen ein wohliges Gefühl von Zusammenhalt und Sicherheit schenkte. Diese lang ersehnte Geborgenheit war endlich eingekehrt – begonnen von einer harmonischen und zugleich verbotenen Freundschaft von einem kleinen Grizzlybären und ein paar Hasen. Sie hatten es geschafft. Sie hatten aus den verfeindeten Tieren eine große Familie gemacht.
Rico und die Hasenkinder stellten sich in den Kreis dazu und hielten vor Freude strahlend die Pfote, Pranke oder Hufe ihres Nachbarn. Selbst Toby wurde in diesem Kreis aufgenommen, obwohl er es sichtlich unangenehm fand. Shira zu seiner Linken und sein Sohn auf der anderen Seite, war er ein Teil der großen Tierfamilie.
„Ein Tier für alle und alle Tiere für eines!“, rief Rico laut und zu seiner Freude wiederholten alle seinen Ausruf. Es schallte laut durch den Wald und erreichte auch die Tiere, die nicht zur Konferenz erschienen waren.
Rico konnte sein Glück kaum fassen. Endlich hatte er es geschafft. Endlich durfte er mit seinen viel kleineren und pflanzenfressenden Hasenfreunden spielen. Endlich …
„Das muss gefeiert werden“, erklärte die Häsin begeistert. Sie war überwältigt, dass unter ihrer Leitung solch eine atemberaubende Einheit entstanden war. Das hatte es noch nie gegeben. Seit sie denken konnte, waren Pflanzen- und Fleischfresser verfeindet gewesen.
Nacheinander lösten sich die Tiere und verfielen in Unterhaltungen, während die Kinder aller Arten miteinander glücklich spielten.
„Ich bin so stolz auf dich, Rico-Schatz“, lobte Shira ihren Sohn und streichelte ihm über den Kopf. „Ich wusste schon immer, dass du etwas ganz Besonderes bist! Du bist mein Held … nein, du bist unser Held. Der Held des Waldes! Du und deine Hasenfreunde habt es geschafft, einen langen Streit zu begraben.“
„Toll“, murrte Toby. Mehr sagte er nicht. Er wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Schließlich war er schon immer gegen eine Freundschaft mit Hasen gewesen.
13 Das muss gefeiert werden!
Als die Konferenz vorüber war und alle Tiere zu ihren Behausungen zurückkehrten, blieben Rico und die Hasenkinder noch und halfen der Mutter beim Abbau. Außerdem wollten sie ihren Erfolg feiern, den sie selbst noch nicht ganz glauben konnten.
Toby hingegen hing noch lange seinen Gedanken nach. Auf dem Rückweg sprach er kein einziges Wort mit Shira. Schweigend liefen sie nebeneinander her. Die neuesten Ereignisse musste er erst einmal verarbeiten und eine Nacht darüber schlafen. Schließlich konnte eine so lange Rivalität nicht einfach durch ein paar Kinder und Pfötchenhalten beseitigt werden.
„Kinder, geht ruhig spielen. Das habt ihr euch wirklich verdient“, ermunterte die Hasenmutter ihre Kleinen, auf die sie sehr stolz war. „Ihr habt ja schon beim Aufbau tatkräftig mitgeholfen.“ Dann wandte sie sich an Rico. Merklich unsicher, aber gefasst richtete sie sich auf. „Darf ich dich einmal umarmen. Als Entschuldigung und als Dankeschön, gewissermaßen.“
Rico war so verdattert, dass er es kommentarlos geschehen ließ. „Ich … danke, bitte … Freundschaft und vertragen … die Bären und alle anderen … toll“, plapperte er geradewegs heraus, was ihm in den Sinn kam. Dass es nur zusammenhangloses Gebrabbel war, bekam er gar nicht mit.
„Und jetzt: hop, hop, hop. Geht spielen, amüsiert euch! Ihr seid Helden! Ihr habt es geschafft, einen generationenlangen Streit zu schlichten“, strahlte die Häsin. Überglücklich sah sie ihrem Nachwuchs nach, wie er mit Rico davonrannte und ein unbeschwertes Kinderlachen an ihre Ohren drang.
Und nicht nur bei den Hasen und Bären kehrte Ruhe ein. Die Mäuse zogen sich erleichtert in ihren Bau zurück und streckten sehr oft schnuppernd ihr Näschen aus dem Eingang heraus. Die Füchse ließen sie in Ruhe und begannen, sich von Wurzeln und Beeren zu ernähren.
Shira, die sich dazu bereiterklärt hatte, den Füchsen das Aufspüren und Ausgraben von Wurzeln und Knollen beizubringen, hielt Wort und brachte gerade den Fuchskindern die ersten Schritte bei. Diese hatten sichtlich Spaß daran und sie störte es auch nicht, dass sie kein Fleisch mehr fressen durften. Schließlich wollten sie nicht ihre Freunde fressen.
Freunde? Ja, tatsächlich! Ein paar der Fuchskinder hatten sich mit den Mäusen angefreundet und wie Rico mit den Hasen spielten diese gemeinsam mit den Mäusen.
14 Die Freundschaft zwischen Hase und Bär
Alle Kinder, ob groß, ob klein,
Wollen miteinander befreundet sein.
Wenn die Eltern das nicht wollen,
Die Kinder dennoch miteinander tollen.
Zwischen Ästen, zwischen Zweigen,
Kleine Hasen spielen, streiten.
Auch ein Grizzly ist dabei,
Er spielt mit ihnen wild und frei.
Vor dem Vater müssen sie es verbergen,
Ihre Freundschaft tut dies stärken.
Dennoch besteht die große Gefahr,
Wenn ein Kind ihm kommt zu nah.
Ob Eichelkönig oder Fangen,
Verstecken spielen unter Tannen,
Es macht den Kindern großen Spaß,
Zu finden, wer hinter der Hecke saß.
Tage- und auch wochenlang,
Ihr Freudenruf ganz laut erklang.
Sie toben ausgelassen durch den Wald,
Rufen laut, sodass es hallt.
Spielen, schwimmen gemeinsam im Fluss,
Wird es Nacht, ist damit Schluss.
Ein langer Streit ist endlich begraben,
Denn bekanntlich so entstehen Sagen.
Durch Harmonie und Vertrauen
Können die Tiere nach vorne schauen.
Ein Tier für alle und alle Tiere für eines,
Als große Familie leben – alle vereint es.



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