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FanFiction: Das Vermächtnis der Eistatzen 03 – Eisrebellen (Kathryn Lasky)

Diese FanFiction von Kathryn Laskys Geschichte „Das Vermächtnis der Eistatzen“ schließt an die Handlung nach dem dritten Teil „Eisrebellen“ an.


Auf FanFiktion kannst du ebenfalls diese Geschichte lesen.


Das Vermächtnis der Eistatzen 03 – Eisrebellen (Fortsetzung): Teil V – Krieg

Nachdem der Krieg am Ende des dritten Bandes von „Das Vermächtnis der Eistatzen“ angekündigt wurde, geht die Geschichte nun weiter. Die Bären befinden sich im großen Kampf gegen die Eisuhr und versuchen, deren Herrschaft zu verhindern.



Ein Plan muss her!

Endlich hatten sie ihre Mutter wiedergefunden. Sie lebte noch! Jytte hatte es die ganze Zeit gehofft, doch dass sie nun tatsächlich ihre Mutter wieder umarmen konnte, dieses Gefühl war unbeschreiblich schön. Für den Moment hatte sie sogar den bevorstehenden Krieg vergessen, doch die Brigade der Kauzkämpfer hatte sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht.

Svern, ihr geliebter Vater, und Soren, der weise König des Großen Baums von Ga‘Hoole waren gefangen. Gefangen in einem dieser Eiskanäle, die von Meuchlern bewacht wurden. Zum Glück konnten sie sich verständigen, indem Blythe verschlüsselte Nachrichten in das Eis hineinklopfte, denn Svern war ein Yinqui, der das Verschlüsseln meisterhaft beherrschte. Er war einer der Besten in diesem Gebiet.

Gerade kam Blythe zusammen mit Otulissa wieder zurück und informierte sie über die Neuigkeiten.

„Leider sitzen mein Vater Soren und euer Vater Svern noch immer in diesem Frosttunnel fest, doch wir können uns austauschen. Ich habe sie geortet und weiß den ungefähren Abstand, aber wir brauchen einen Plan, wie wir sie befreien können.“ Blythe war am Ende ihres Möglichen angelangt. Sie war eine der besten Kryptologie-Chiffriererin und verstand es meisterhaft, jede Botschaft in einer geheimen Verschlüsselung weiterzugeben. Sie hatte bereits mehrere Kodier-Systeme entwickelt, doch sie halfen in diesem Fall auch nicht weiter.

Svenna, die zwar bestürzt über die schier aussichtslose Lage war, sich aber mit den Zeitkap-Bären bestens auskannte – sie hatte schließlich lange dort gearbeitet und war zu einem ansehnlichen Rang aufgestiegen – fand als Erste die Sprache wieder. „Wenn wir nicht schnell genug handeln, ist es mit uns allen vorbei“, fasste sie die Lage zusammen. „Daher nützt es nichts, wenn wir uns unnötig verrückt machen, sondern wir müssen einen Plan in Ruhe aufstellen. Andernfalls fallen wir den Wassermassen des Bungvik zum Opfer.“

„In Ezylrybs alten Aufzeichnungen lässt sich sicherlich etwas Nützliches finden. Ich habe einmal in seinem Tagebuch gelesen, dass Octavia, seine spätere Nesthälterin, die ihm in dem Krieg der Eisschnäbel beigestanden hatte, ihn durch eine List befreit hatte.“ Otulissa fuhr sich mir der Kralle durch ihr aufgewühltes Federkleid.

„Und was hat sie gemacht?“, platzte es aus Drei ungeduldig heraus. Auch die anderen warteten auf die Antwort.

„Das weiß ich eben nicht genau, denn er hat nur aufgeschrieben, dass sie ihn befreit hat, allerdings nicht wie.“ Otulissa blickte in die enttäuschten Gesichter. „Aber wir finden eine Lösung!“, erklärte sie nun, um wenigstens den anderen Mut zu machen. Selbst war sie sich da nicht so sicher.

„Dann los. Wir schmieden einen Plan!“ Stellan wirkte sehr entschlossen.

„Für Papa!“, stimmte Jytte kampfbereit mit ein.

„Für Svern“, schloss sich Svenna an. Sie schöpfte neuen Mut, denn die Entschlossenheit ihrer Kinder hatten sie überleben lassen. Also ließen sie sich auch von diesen Problemen nicht kleinkriegen.

„Und für Soren“, fügte Otulissa hinzu.

„Ich habe eine Idee.“ Blythes Augen begannen zu leuchten. „Ich frage Papa, er wird es sicherlich wissen, denn Ezylryb und er haben viel Zeit miteinander verbracht.“ Schon war Blythe verschwunden. Aufgeregt klopfte sie die neue verschlüsselte Botschaft in die Wurzeln hinein, in der Hoffnung, dass Soren diese Geschichte kannte.


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Tatsächlich hatte sie Glück. Als sie Sverns Antwort entschlüsselt hatte, entfuhr ihr ein Freudenschrei. Sie eilte zurück zu den Bären und Otulissa, denen sie die Lösung für ihr Problem mitteilen konnte.

Nesthälterin im Einsatz

Langsam schlängelte sich Audrey an die besagte Stelle heran. Otulissa hatte sie hergeflogen, während Audrey freudestrahlend ihren Kopf in den Wind hielt, denn der Ferne – so nannten sie den Himmel – war für jede Blindschlange ein wunderbarer Ort. Ein Ort der Sehnsucht und der Wünsche. Für sie war es unbegreiflich, wenn ein anderes, ebenfalls flugunfähiges Tier nicht so sehr vom Fliegen träumte wie sie selbst. Audrey war Otulissas Nesthälterin und die Leiterin der Weberinnengilde. Als Otulissa ihr von dem Plan erzählt hatte, war sie sofort einverstanden gewesen. Sie verbreitete gerne Klatsch, weswegen Otulissa sie zuerst nicht fragen wollte, doch andere Schlangen kamen für sie dennoch nicht infrage. Nun näherte sie sich dem Frosttunnel und hörte deutlich Krallen unter sich scharren. Sie musste genau über Soren und dem anderen Bären sein, dessen Namen ihr entfallen war. So schnell wie konnte, ringelte sie sich zusammen, denn so war sie kleiner und kaum mehr sichtbar. So verharrte sie, bis die beiden Meuchlerbären wieder auftauchten. Sie heftete sich unbemerkt an ihre Fährten und belauschte sie. So erfuhr sie mehr über den Plan, welchen der Groß-Patek und die Zeitkap-Bären ausheckten. Sie musste sich Schreie des Entsetzens unterdrücken, denn diese furchtbaren und skrupellosen Gestalten wollten die beiden Gefangenen als eine Art Testobjekte benutzen. Sie sollten in dem Frosttunnel bleiben, während der Bungvik seine Schleusen öffnete und die Gänge flutete. Dieser Plan war so grausam, dass sich Audrey fast übergeben musste. Sind diese Bären alle von Hägsdämonen besessen? Wie kann man sonst solche unverständlichen Pläne machen?, wunderte sie sich, doch damals bei den Reinen, wie sie sich nannten, war es auch nicht anders gewesen. Ihr Inneres zog sich bei diesem Gedanken heftig zusammen. Diese Zeit wollte sie nicht noch einmal erleben. Eilig kehrte sie wieder zu jener Stelle zurück, unter der König Soren und der Eisbär festsaßen. Sie fand ein kleines Loch und ließ sich hineinfallen. „Himmel, Glaux und Krähenschiss! Audrey, du bist es!“ Erschrocken war Soren beiseite gesprungen, als die Blindschlange direkt neben ihm aufgeschlagen war. „Wie kommst du hier herein?“ „Ich wurde von Otulissa hergeflogen“, berichtete sie und geriet wieder für einen kurzen Moment ins Schwärmen, als sie an den Ferne dachte, doch dann besann sie sich wieder. „Ich bin diesen möwenhirnigen Meuchlern gefolgt und habe sie belauscht. Sie wollen die kompletten Frosttunnel unter Wasser setzen und irgend so ein Bungvik entfesseln.“ Urskadmus!“, entfuhr es Svern, der bisher geschwiegen hatte. „Sie wollen die Tunnel tatsächlich nutzen, um das ganze Land zu überfluten. Wir müssen dringend etwas unternehmen. Zum Glück bist du da. Hast du einen Plan, wie wir hier herauskommen können?“ Audrey nickte. „Aber wir müssen uns gedulden. Otulissa und einige andere Eulen der Glutsammlerbrigade fliegen gerade los, um Rumser zu besorgen. Damit könnt ihr möglicherweise fliehen.“ „Mit Rumsern?“, wunderte sich Soren. „Was sind Rumser?“, erkundigte sich Svern. Er hatte zwar schon von ihnen gehört und wusste, dass es ebenfalls Kohle war, aber deren Besonderheit kannte er nicht. Warum sollten ihnen ausgerechnet diese Rumser helfen können? „Rumser sind besonders heiße Kohlestücke, die sehr lange und heiß glühen“, erklärte Soren, der selbst oft genug Glut dieser Sorte aus dem Feuer von Waldbränden geholt hatte. Sie dienten auch wunderbar zum Schmieden. Zusammen mit den Kreischeulerich Ezylryb, seinem Ryb und später gutem Freund, der ihn damals für die Glutsammlerbrigade ausgewählt hatte, war er in viele Feuer geflogen. Häufig hatte er dem Schmied Bubo die besten Rumser gebracht, damit seine Esse schön heiß war und sich das Metall leicht verarbeiten ließ. Da vernahm Soren ein Geräusch und sah nach oben. Durch dasselbe Loch, durch das Audrey zu ihnen gelangt war, blickte nun Otulissa hinein. Es war gerade groß genug für ihr Auge. „Soren, geht es euch noch gut?“, wollte sie wissen. „Otulissa!“ Er freute sich sichtlich über ihre Anwesenheit. „Den Umständen entsprechend“, teilte er ihr mit. „Sehr gut. Achtung, ich lasse gleich einige Rumser zu euch nach unten fallen. Damit könnt ihr euch einen Weg nach draußen freischmelzen.“ Dann landeten auch schon einige der fast bläulich glühenden Kohlestücke neben ihnen. Soren nahm einen davon in den Schnabel und platzierte ihn an einer dünneren Stelle. Auch die anderen setzte er dazu. Blitzschnell sanken sie tief in das Eis hinein und schmolzen sich einen Weg. Es war zwar nicht sehr groß, aber wenn sie noch gruben, sollte es reichen. Svern, der ebenfalls nach einem Rumser greifen wollte, ließ lieber Soren diese Arbeit übernehmen, da er sich bereits in der Nähe fast verbrannt hätte. Dafür übernahm er das Abtragen des inzwischen etwas weich gewordenen Eises.

Große Pläne des Groß-Pateks

Brüllend vor Wut schlug der Groß-Patek einem der Meuchler seine Pranke ins Gesicht, sodass dieser zusammenbrach. „Will mir noch jemand schlechte Nachrichten überbringen?“, fauchte er. „Bringt jeden um, der sich mir in den Weg stellt. Der Wille der Großen Uhr ist heilig und sie duldet keinen Aufstand! Habt ihr das verstanden?“ Er hieb seine massige Pranke auf den Boden, sodass es von den Wänden schallte. Keiner der anwesenden Bären traute sich, auch nur den geringsten Laut von sich zu geben. „Die Eulen von Ga‘Hoole haben die Bären von Nunquivik und fast die gesamten Nordlanden mit ihren abscheulichen Plänen angesteckt. Das werden wir verhindern. Die Eisuhr wird sich bald an ihnen rächen!“ Die Mitglieder des Gilraan, der Oberste Rat der Zeithüter, zog sich stumm zurück. Die Herrin der Zeiger trottete hinter Torsten, dem Chronos her. Sie musste an die Lauschgleiterin Edith denken. Die Fleckenkäuzin hatte ihnen schlechte Nachrichten überbracht, woraufhin der Groß-Patek fast den Verstand vor Wut verloren hatte. Sie hatte erzählt, dass der Schlüssel zur Eisuhr gefunden wurde und im Besitz der Eulen von Ga‘Hoole war. Angeblich hatten vier stümperhafte Yossen diesen aus dem Frostbau des Svrie geholt. Daraufhin hatte der Groß-Patek bwatig über die vier unerfahrenen Yossen verhängt. Dies bedeutete, dass sie gefoltert und getötet werden sollten. Scheinbar waren sie noch immer auf freiem Fuß, denn eine Nachricht von ihrem Tod war noch nicht eingegangen. Eine Streitmacht sollte dies erledigen. Torsten bog ab und sie lief allein den Gang bis zu ihrer Kammer entlang. Dafür brauchte sie wie immer genau zwanzig Sekunden und dreizehn Millisekunden. Ihr war es extrem Wichtig, dauerhaft die Zeit im Auge zu behalten, schließlich diente sie der Eisuhr.

Mit Rums in die Freiheit

Kurze Zeit später hatten sie es endlich geschafft. Svern brach durch die Wand des Frosttunnels aus und trat zusammen mit Soren und der Nesthälterin Audrey ins Freie. Von den Meuchlern war zum Glück nichts zu sehen, also machten sie sich eilig auf den Rückweg zum Großen Baum, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Sie mussten unbedingt das Ausbrechen des Bungvik verhindern. Das ging nur mithilfe des Schlüssels, der irgendwo im Großen Baum versteckt war. Nur Soren und Otulissa kannten das Versteck. Als sie wieder im Großen Baum ankamen, wurden sie von den Eisbären und Eulen freudig empfangen. Stellan und vor allem Jytte stürzten ihrem Vater glücklich um den Hals. Svenna hingegen konnte sich kaum rühren und blickte ihn nur an. „Svenna“, hauchte Svern, dann fiel auch sie um seinen Hals. „Svenna!“, schluchzte er nun. „Svern, bin ich froh, dass es dir gutgeht.“ Svennas Erleichterung war endlos. Blythe schloss ihren Vater erleichtert in die Flügel. Der Plan hatte tatsächlich funktioniert. Der König war wieder im Großen Baum. „Warum bist du überhaupt hinausgeflogen?“, wollte Blythe wissen. Sie ließ Soren los und wartete auf eine Antwort. „Das … war meine Idee“, gab Otulissa kleinlaut zu. „Ich habe Soren dazu überredet, eine konservative Strategie zu bevorzugen. Ich wollte mit ihm einen Erkundungsflug machen, um die Lage zu überprüfen.“ „Was ziemlich leichtsinnig und dämlich war“, fand Soren im Nachhinein. „Aber schließlich bin ich auch mit schuld, denn ich bin freiwillig mitgeflogen.“ „Schon gut“, meinte nun Blythe. „Wir sollten nicht die Schuld hin und herschieben. Ihr habt beide einen Fehler gemacht, aber jetzt sind wir hier und müssen uns etwas überlegen.“ „Die Wölfe des MacNab-Clans haben uns ihre Hilfe zugesichert und auch die MacNamara wollen uns beistehen. Auf die Grüneulen können wir ebenfalls zählen.“ Stellan zählte alle Verbündeten auf, die sie bisher hatten, doch das reichte nicht. Sie brauchten mehr. Viel mehr! „Das ist doch zumindest ein Anfang“, meinte Soren, der viel von den Grüneulen hielt. Sie faszinierten ihn noch immer, denn sie hatten in einem vorigen Krieg zahllose Bücher auswendiggelernt, da deren Geschichten sonst für immer verloren gewesen wären. So hatten sie all die Bücher in ihrem Kopf und der Wald, in dem sie hausten, wurde allgemein als Wald der lebenden Bücher bezeichnet. „Wir müssen irgendwie diese Eisuhr ausschalten“, fasste Froya die Lage zusammen. „Mit dem Schlüssel sind wir schon einen entscheidenden Schritt nähergekommen, aber wie sollen wir das anstellen?“ „Wir Bären können den Schlüssel ohnehin nicht benutzen, da das Schlüsselloch viel zu hoch für uns ist. Praktisch unerreichbar. Wir müssen die anderen Bären ablenken, sodass ihr die Eisuhr abschalten könnt.“ Svern blickte zu Blythe. „Eine von euch Eulen muss das übernehmen.“ „Vielleicht können wir die Uhr so umlenken, dass das Bungvik nicht uns, sondern sie wegschwemmt. Kann man das irgendwie umstellen?“, überlegte Jytte. Svenna, die bereits dort gewesen war, schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung. Vielleicht weiß Galilya Rat. Sie ist, soviel ich weiß, auch gegen die Uhr und versucht es zu verhindern. Sie arbeitet ebenfalls gegen diese schreckliche Eisuhr.“ „Und wo finden wir diese Galilya?“, wollte Soren wissen. „Das weiß ich eben nicht. Ich bin vor ihr geflohen – falls sie nicht schon längst tot ist oder selbst geflohen ist“, erklärte Svenna. Sie musste an die alten Ki-hi-ru-Geschichten denken, von denen sie ihren beiden Kindern früher ab und zu erzählt hatte. Konnte es sein, dass Galilya in Wahrheit gar keine Bärin war, denn sie hatte sich teilweise etwas seltsam verhalten. Dann fiel ihr die Schneefüchsin Lago ein, die Taaka gefolgt war, bis sie sie in einem Kampf umgebracht hatte. Vielleicht wusste diese weiter. „Lago“, sagte sie nun. „Vielleicht kann uns Lago weiterhelfen.“ „Wer ist Lago?“, erkundigte sich Otulissa. „Eine Schneefüchsin. Sie ist Taaka gefolgt. Daher kenne ich sie“, erklärte Svenna. Bei diesem Namen zog sich sofort Dreis und Froyas Magen zusammen. Taaka, die schrecklichste Bärin, die sie je gekannt hatten – zu allem Übel war sie ihre Mutter gewesen. Auch Jytte und Stellan lief es eiskalt den Rücken herunter, denn Svenna hatte die beiden, als sie noch Eins und Zwei hießen, zu ihr gebracht, da sie selbst zur Eisuhr gehen musste. Taaka war eine grauenvolle und egoistische Mutter gewesen, die sich nicht um sie gekümmert hatte und auch Drei, ihr eigenes Kind, regelrecht misshandelt hatte. „Taaka ist … tot“, meinte Svenna nun. „Ich habe sie in einem Kampf getötet. Ich wollte sie nur aufsuchen, um euch abzuholen, aber sie hatte sich den Meuchlern angeschlossen und ist auf mich losgegangen. Zuvor hatte ich sie beobachtet, wie sie mit Meuchlerbären gesprochen hat.“ Drei dachte an die kleine Eule Rags, deren Mutter sie zurückgelassen hatte und sie sogar umbringen wollte, da sie als Lauschgleiterin arbeitete. Und nun war seine eigene Mutter eine Meuchlerin gewesen. Diese Vorstellung war einfach nur schrecklich, aber er musste zugeben, dass es zu dem verdorbenen Charakter seiner Mutter passte. „Es ist besser so“, meinte nun Froya, die trotz der guten Neuigkeit, dass ihre furchtbare Mutter tot war, einen Stich im Herz spürte. Immerhin war sie ihre Mutter, daran konnte man nichts ändern, daher ging diese Neuigkeit nicht komplett spurlos an ihr vorbei. Trotz allen Grausamkeiten war Taaka ihre Mutter. Und das blieb sie auch. Daran konnte sie nichts ändern.

Illya und Lago

Uluk Uluk, der nun einen entschlosseneren Eindruck machte, erhob sich. Sein gebrechlicher, alter Körper schien langsam die früheren Kräfte wiederfinden. „Wir suchen den Großen Baum auf. Vielleicht ist Svern schon längst dort. Die Eulen können uns mit Sicherheit behilflich sein. Sie können Späher aussenden und ihn suchen lassen.“ Uluk Uluks Miene verfinsterte sich. „Oder eine Eule kann ihm eine Nachricht schicken. Er ist doch ein Yinqui. Sofern er in einem Lauscherbau sitzt, sollte das keine Schwierigkeit sein.“ „Sehr gut, dann brechen wir auf. Jetzt“, entschied Uluk Uluk und verließ den Zellblock sechs. Illya und Lago folgten ihm und traten in die weiße Landschaft hinaus. Der Wind frischte merklich auf es begann zu schneien. Nach kurzer Zeit waren ihre Spuren zugeschneit, doch für die Bewohner von Nunquivik war dies kein Problem. Die Schneefüchse und Eisbären fanden sich auch ohne gute Sicht zurecht. Mithilfe der Sternbilder am Himmel konnten sie ihre Wege teils sogar besser finden als durch klare Sicht auf eine endlos weiße Landschaft. Plötzlich hörte Lago ein Geräusch hinter sich. Schon die ganze Zeit war ihr ein vertrauter Geruch in der Nase gelegen, doch sie konnte ihn nicht sofort zuordnen. Da erkannte sie die Eisbärin Svenna und augenblicklich wusste sie es wieder. Diese Bärin hatte Taaka – der Meuchler-Bärin, der sie selbst lange Zeit gefolgt war – in einem schlimmen Kampf getötet. „Svenna!“ Auch Illya hatte sie erkannt, jedoch nicht anders herum, denn sie selbst war in ihrer zweiten Gestalt als Eisbärin namens Galilya dort gewesen. Svenna, die zusammen mit ihren beiden Kindern, Drei, Froya und Svern unterwegs war, erkundigte sich nach Galilya, doch sie bemerkte nicht, dass sie direkt vor ihr stand. „Ich bin Galilya“, gab sich Illya zu erkennen. „Du?“ Svenna war die Verwirrung deutlich ins Gesicht geschrieben. „Das ist nicht möglich Galilya ist eine Eisbärin, so wie ich.“ Oder sind die Ki-hi-ru-Geschichten wirklich wahr und diese Füchsin hat sich bloß verwandelt? Svenna grübelte. „Wenn du wirklich Galilya bist, kannst du sicher etwas über die Eisuhr erzählen. Schließlich haben wir uns dann gekannt.“ Illya zögerte. „Ich bin Illya. Bei den Zeitkap-Bären habe ich die Gestalt eines Bären angenommen und mich dort zur Tarnung Galilya genannt“, rückte sie dann mit der Wahrheit heraus. Sie hatte sich zuvor umgesehen, dass niemand Fremdes sie belauschen konnte. „Wisst ihr, wo der Schlüssel für die Eisuhr ist?“, wollte Lago wissen. „Befindet er sich noch im Bau des Svrie?“ Svern grinste. „Meine tapferen Kinder haben ihn gefunden und zum Großen Baum gebracht. Dort haben ihn die Eulen versteckt und nur der König selbst kennt sein Versteck.“ „Das ist ja wunderbar, dann nichts wie los zum Großen Baum!“, entschied Uluk Uluk, der es endlich hinter sich bringen wollte. Seine Knochen waren alt und er nicht mehr für den Krieg geeignet, aber dennoch wollte er die bösen Bären des Eiskaps besiegen und die Eisuhr zerstören. Gemeinsam machten sie sich auf zum Großen Baum, in dem Soren – der weise König – und all die anderen Eulen bereits ungeduldig auf sie warteten. Bestimmt hatte Blythe bereits eine weitere Nachricht von den Wölfen erhalten, denn sie hatten ihnen ihre Unterstützung zugesichert. Vor allem die MacNamara waren wichtige Verbündete. Zusammen mit den MacNab hatten sie schon fast eine ganze Armee. Allerdings war sie noch lange nicht groß genug, um die Eiskap-Bären mühelos zu besiegen. Es gäbe in jedem Fall sehr viele Opfer. Es war unvermeidlich. „Drei?“, fragte Lago und der Kleine sah sie an. „Du hast noch immer keinen Namen bekommen?“ Traurig schüttelte er den Kopf. „Mama hat mir keinen gegeben und jetzt ist sie tot“, schniefte er. „War Taaka deine Mutter?“, erkundigte sich die Schneefüchsin. Wieder nickte er. „Dann müssen wir dir noch einen geben, bevor der Krieg beginnt.“ Schließlich darfst du nicht ohne Namen sterben!, fügte sie noch im Stillen hinzu. Svenna, die dicht neben Svern lief, schaute sich nach hinten um. Sie bildete die Spitze und führte die Kameraden an. Lago unterhielt sich intensiv mit Drei und schien ihm Flausen in den Kopf zu setzen. Hoffentlich übertrieb sie es nicht. Drei musste vernünftig sein, wenn sie in den Krieg ziehen müssten. „Lago, kannst du mal bitte kommen“, rief sie der Schneefüchsin zu. Sie wusste nicht, was sie ihr sagen sollte, aber sie wollte sie um jeden Preis von Drei fernhalten. Schnell holte die Füchsin auf und lief nun neben Svenna her. Sie wartete auf eine Frage der Bärin, doch diese schwieg beharrlich. „Was ist nun? Warum wolltest du mich sprechen?“ Svenna suchte verzweifelt nach einer Ausrede, doch ihr wollte einfach nichts einfallen. Zu ihrem Glück erkannte Svern ihre Lage und sprang schnell für sie ein. „Sag, Lago, warst du schon einmal im Großen Baum?“, wollte er wissen. „Nein, noch nie. Ich habe Nunquivik noch nie verlassen“, erklärte sie. Gab es das wirklich, dieses Ga‘Hoole? Jetzt war sie so nah und bekäme sogar selbst den Baum zu Gesicht, aber irgendwie hatte sie manchmal daran gezweifelt, dass es diesen großartigen Baum mit dem tapferen König tatsächlich gab. Der erste König – Hoole – hatte Frieden in die Welt gebracht, der leider nicht lange gehalten hatte. Er war ein sehr gütiger König gewesen und anscheinend war auch Soren solch ein weiser König. Er bestand nicht auf Prunk und all den Schnick-Schnack, den Wölfe erwarteten. Er sah aus wie eine gewöhnliche Eule, so hatte sie es gehört. „Dann musst du noch ein paar Dinge wissen“, fuhr Svern fort. „Um den gesamten Großen Baum erstreckt sich das Hoole-Meer. Dichte Nebel erschweren die Sicht. Er ist nur durch die Luft und durch das Wasser zu erreichen. Einen Landweg gibt es nicht.“ „Und wie sollen wir dann dort hinkommen? Illya und ich sind keine ausdauernden Schwimmer.“ Sie machte sich große Sorgen. Es sei denn, ihre Schwester wechselte wieder ihre Gestalt, doch sie war nicht sicher, ob diese es wollte. „Wir nehmen euch einfach auf den Rücken“, wandte Svenna ein. Erleichtert atmete Lago auf. „Vielen Dank. Das ist für uns die einzige Möglichkeit, den Großen Baum von Ga‘Hoole zu erreichen.“ Lago konnte es kaum erwarten. Als sie das Hoole-Meer erreicht hatten, glitten die Eisbären ins Wasser und nahmen Illya und Lago auf ihre Rücken. Nach kurzer Zeit zeichnete sich die Insel des Großen Ga‘Hoole-Baums in den Nebeln ab und jeden Meter, den sie näherkamen, wurde er deutlicher. Lago riss vor Erstaunen weit ihr Maul auf. Um den Baum flogen einige Eulen. Manche allein, manche in Gruppen. Es waren dutzende Arten dabei. Große, kleine, helle, dunkle. Fasziniert verfolgte sie die atemberaubenden Flugmanöver der edlen Tiere, die so lautlos durch die Luft gleiten konnten, dass sie nicht den kleinsten Flügelschlag hören konnte. Dann erreichten sie das Ufer der Insel und ließen die Füchse absteigen. Lago und Illya bestaunten alles intensiv. Es war wie eine neue Welt, die sich für die beiden eröffnete. Die Vorstellung, dass die Insel von Ga‘Hoole nur aus einem einzigen Baum bestand, überstieg ihre Vorstellungskraft vollends. „Willkommen!“ Otulissa flog erfreut herbei und umkreiste die Ankömmlinge. Aufgeregt landete sie vor Lago und guckte abwechselnd von ihr zu der anderen Schneefüchsin Illya und wieder zurück. „Wer von euch ist Galilya und wie kannst du uns helfen?“ „Ich bin Illya.“ Sie trat vor. „Ich nannte mich bei den Eiskap-Bären Galilya und kenne mich dort einigermaßen gut aus.“ „Du warst bei den Eiskap-Bären?“ Otulissa drehte ihren Kopf fast komplett im Kreis, was den Bären wieder einmal ein komisches Gefühl machte. „Ja, ich kann meine Gestalt ablegen“, erklärte Illya. „Als Eisbärin habe mich erfolgreich eingeschlichen und der Eisuhr gedient.“ „Ah.“ Otulissa war für einen kurzen Moment sprachlos. „Also sind die Ki-hi-ru-Geschichten wahr. Nun gut, warum auch nicht? Es gibt schließlich auch Hägsdämonen.“ „Hägsdämonen kann man aber nicht mit Gestaltenwandlern vergleichen“, motzte Illya. Beleidigt wandte sie den Blick ab. Was fiel dieser vorlauten Eule nur ein, ihre wunderbare Gabe mit den scheußlichen Dämonen zu vergleichen, die nur Unheil verbreiteten? Hägsdämonen waren von Grund auf böse und seelenlos. Gestaltenwandler, wie ich einer bin, waren gut und hatten eine Seele. „Tut mir leid“, entschuldigte sich die Eule kurz, flatterte dann davon. „Folgt mir. Soren wartet bereits.“ Otulissa flog im Tiefflug durch die Gänge und die Bären und Füchse folgten ihr. Die Eisbären kannten alles schon, doch Lago und Illya bestaunten alles. Dieser Baum war so gigantisch von außen, doch im Inneren übertraf es dies noch bei Weitem. Es war fast so wie bei einem Fuchsbau: Von außen unscheinbar und klein, doch von innen groß, gemütlich und ziemlich geräumig. Im Großen Baum nahmen allerdings die inneren Räume ein Ausmaß an, mit dem sie auf keinen Fall gerechnet hatten. Der Anblick war einfach atemberaubend.

Lagebesprechung

Soren saß neben den anderen Eulen unscheinbar auf seinem Ast und nickte den Füchsen freundlich zu. Er kniff seine trüben Augen zusammen, sah sie aber trotzdem nicht deutlich. „Kommt doch näher“, sagte er. „Meine Augen sind nicht mehr die besten.“ Die Schneefüchsinnen traten vor ihn und setzten sich auf seine Anweisung auf den Boden. „Ist es wahr, dass sich der Schlüssel hier im Großen Baum befindet?“, platzte Illya heraus, die ihre Chance zu gewinnen damit höher sah. Soren nickte. „Nur Otulissa und ich selbst kennen das Versteck. Nicht einmal meine Töchter wissen davon.“ Blythe, die neben ihrem Vater saß, nickte zustimmend. „Das ist wahr. Uns hat er nichts verraten!“, klagte sie. Zu gerne hätte sie den Schlüssel selbst in den Krallen gehalten, aber sie wusste auch, dass es so sicherer war. „Wir brauchen einen Plan, um die Eiskap-Bären zu hintergehen und du bist für uns ein entscheidender Vorteil, Galilya. Svenna und du waren schon einmal dort und ihr kennt euch aus. Das kann uns weiterbringen. Zwar ist die Kauzkämpfer-Brigade bereits vorausgeflogen, aber wir haben noch viele Geschwader im Großen Baum, die erst aufbrechen werden. Mit ihren gehen wir den Plan durch und besiegen die Bären. Ich bin schon ziemlich alt und will eigentlich einen Krieg umgehen, aber wenn es unvermeidbar ist, werde auch ich meine Kampfkrallen wieder anziehen.“ Soren blinzelte mehrfach. Illya war klar, dass Soren in einem Krieg nicht mehr lang durchhalten konnte. Das wusste auch er, aber wollte es nicht wahrhaben. Für die Abendstunde berief er den ganzen Baum zu einer Lagebesprechung zusammen. Als die Bären ankamen, war der Saal bereist bis zum letzten Platz besetzt. Es musste die kompletten Bewohner des Großen Baums zusammengekommen sein. Selbst die Nesthälterinnen waren anwesend. Soren hob seinen Flügel und es kehrte Stille ein. Dann erhob er seine Stille. „Liebe Eulen, Bewohner und Gäste des Großen Baums. Danke, dass ihr alle gekommen seid. Ihr wisst, die Lage ist brenzlig und wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen handeln. Alle Brigaden werden sich zusammentun und gemeinsam ihre Fähigkeiten nutzen, um alle Vorteile herauszuholen, die wir haben. Die Hauptaufgabe wird sein, dass wir die Eiskap-Bären ablenken und eine Eule die gefürchtete und mörderische Eisuhr mit dem Schlüssel stoppt. Unser aller Überleben hängt davon ab, denn sind erst einmal die Wassermassen des Bungvik entfesselt, gibt es kein Zurück mehr. Dann ist alles vorbei.“ Uluk Uluk erhob sich und Soren gab ihm zu verstehen, dass er etwas sagen durfte. „Ich weiß, dieses Vorhaben ist extrem gefährlich und es sind schon sehr viele Blaurobben darin gestorben, aber wir müssen zusätzlich die Leitbleche der Uhr umlenken, damit sie bei einer Überschwemmung sich selbst davon spülen und die Uhr sich aus eigener Kraft zerstört.“ „Das klingt sehr riskant“, stimmte Soren zu, „aber auch sehr hilfreich. Das müsste eine Robbe oder mehrere – wenn die Eiskap-Bären durch uns abgelenkt sind – versuchen. Wir Eulen können weder schwimmen noch tauchen und ihr Eisbären seid vermutlich zu groß.“ Soren drehte seinen Kopf und wartete auf eine weitere Idee, doch alle saßen nur mit weit aufgerissenen Augen da und hörten geschockt dem Vorhaben zu. Langsam veränderten sich die Mienen der Eulen von Angst zu Wut und Entschlossenheit. Sie wollten gemeinsam die Eisuhr entmachten und die Eiskap-Bären besiegen. Ganz nach dem Leitsatz des Großen Baums. Gemeinsam machten sie einen Plan, der die Bären überlisten und die Bunkvik-Wasser aufhalten sollte. Oder zumindest umleiten.

Ein Name für Drei

„Was, du hast noch immer keinen Namen?“, wunderte sich Soren, der zwar von der Namensgebung der Eisbären wusste – dass sie erst Nummern bekamen, denn so baute die Mutter eine nicht so starke Bindung zu den Kleinen auf, falls sie es nicht überlebten –, aber dennoch verblüfft darüber war. Schließlich war dieser Bär auch älter. Es erinnerte ihn fast an die Zeit in Sankt Ägolius, als auch er und Eglantine nur Nummern waren. Ihre eigenen Namen wurden ihnen einfach weggenommen. Erst im Großen Baum, in den sie geflohen waren, hatten die beiden ihre ursprünglichen Namen wieder. „Dann brauchen wir unbedingt einen Namen, dass man ihn noch lang nach dem Krieg weiß und dich in Erinnerung halten kann“, wandte Blythe ein. Sie tschurrte leise. Dann landete sie neben dem Eisbären. „Aber wie soll ich heißen? Normalerweise bekommt ein Yosse den Namen von der Mutter, aber meine ist tot.“ Drei wirkte unsicher. Er war zwar ein bisschen froh, dass Taaka nicht mehr am leben war, da sie so grob und herzlos zu ihm gewesen war, aber immerhin war sie seine Mutter gewesen. „Dann adoptiere ich dich einfach und gebe dir einen Namen.“ Mit dieser Idee schien Svenna sehr glücklich zu sein. Sie umarmte Drei, der bedröppelt vor ihr stand. Nun breitete sich auch auf seinem Gesicht ein Lächeln aus. „Darf ich dann Mama zu dir sagen?“ Erwartungsvoll sah er sie an. „Ich hätte dich viel lieber als Mama gehabt anstatt Taaka. Sie war ein Monster.“ „Ja, du darfst Mama zu mir sagen“, meinte Svenna. „Und zu mir natürlich Papa“, fügte Svern hinzu. „Dann haben wir einen neuen Bruder“, grinste Jytte. „Ich habe endlich einen Bruder“, lachte Stellan und guckte seine Schwester schief an. Sie überlegte kurz, dann musste sie lachen. „Wie rührend“, schluchzte Otulissa und ihr kullerte tatsächlich eine Träne über die Federn. „Dann bekommt er einen Namen. Das müssen wir aber prächtig feiern. Schließlich hat er sein Erstes Fleisch und bestimmt auch viele anderen Feste bei dieser Rabenmutter nicht feiern dürfen.“ „Nein“, stimmte Froya zu, „Taaka hat keine einzige Feier mit uns gemacht. Wir waren ihr völlig egal.“ Ihr graute es, die Erinnerungen an ihre Mutter wieder hervorzurufen. „Schrecklich, aber die ist bereits in Ursulana, wie ihr Bären den Himmel nennt“, fand Soren. „Allerdings würde ihre Boshaftigkeit den ganzen Himmel vergiften.“ Bei diesen Worten zog sich sein Muskelmagen fest zusammen und er musste ein Gewölle spucken. Er konnte es nicht mehr zurückhalten. So schnell sprang es ihm aus seinem entsetzten Schnabel. Peinlich berührt sah er dem Klumpen hinterher, wie er von seinem Ast auf dem Boden fiel. Sofort eilte eine Nesthälterin herein und entfernte das Gewölle des Königs. Jytte, die zum ersten Mal gesehen hatte, wie eine Eule ihr Gewölle hochwürgte – und dann gleich der König – musste fast selbst erbrechen, denn für sie war diese Vorstellung ziemlich abartig, das Unverdauliche einfach wieder als festen Klumpen zusammengepresst hochzuwürgen. „Aber nun sollten wir schnell die Vorbereitungen treffen. Wir haben nicht viel Zeit“, überspielte Sören geschickt die unangenehme Situation, die für eine Eule eigentlich ganz natürlich war. Doch da gutes Benehmen an oberster Stelle stand, verabscheute er sich selbst ein bisschen, denn vor allem ihm durfte so etwas nicht passieren. Um Mitternacht, als der Mond die höchste Stellung erreicht hatte, dass er den Großen Baum in silbrig schillerndes Licht tauchte, versammelten sich die Bewohner des Baums und betraten den festlich hergerichteten Saal. „Ist das nur für mich?“, stutzte Drei, der vor Staunen sein Maul kaum noch zu bekam. „Gefällt es dir?“, zischelte Mrs. Plithiver. Ihre Zunge schnellte mehrmals aus ihrem kleinen Maul heraus. „Ich habe die komplette Weberinnengilde versammelt, damit sie diesen Saal festlich herrichtet. Ich weiß doch, wie wichtig diese Feiern sowohl für junge Eulen als auch für alle anderen jungen Geschöpfe ist.“ Sie erinnerte sich noch an die Zeit, als sie die Nesthälterin in Sorens Geburt-Nest gewesen war. Noctus und Marella, Sorens Eltern, hatten jeden Erfolg ihrer kleinen Küken groß gefeiert. Leider hatte der boshafte Bruder Kludd dies alles zunichte gemacht, indem er den armen Soren, der zu dieser Zeit noch nicht fliegen konnte, aus dem Nest gestoßen hatte. Soren war in ein furchtbares Internat gekommen und kurz darauf hatte Kludd auch sie vertrieben, damit sie den Eltern nichts sagen konnte. Lange Zeit später hatte sie Soren gefunden und gemeinsam hatten sie den Großen Baum aufgesucht, in dem sie noch immer lebten. Sie als Nesthälterin und Soren als König. Drei konnte es kaum glauben. Das war alles nur für ihn. Und so schön! Die Harfengilde spielte klangvolle Melodien und Madame Plonk sang dazu ein Lied, das sie sich extra für diesen Anlass ausgedacht hatte. Denn das Fest für eine Namensgebung gab es eigentlich nicht bei Eulen. Daher hatten sie auch kein Lied dafür. Mrs. Plithiver, die zwischen den Grassaiten die Oktave zupfte, sorgte für den passenden Rhythmus und die anderen Schlangen folgten ihr. Zusammen erzeugten sie einen Klang, der wahrhaft magisch war. Madame Plonks Stimme schallte melodisch durch den Saal.


Geboren und nur eine Nummer erhalten,

Doch nun gehörst du zu den Alten.

Der dritte Bär des Wurfes du bist,

Deine Mutter sehr stolz auf dich ist.

Geweilt als Bärchen ohne Namen,

Nur eine Nummer hast du gehabt.

Doch zu diesem Fest wir zusammenkamen,

Svenna dir deinen neuen Namen nun sagt.


„Weiter bin ich leider noch nicht gekommen“, entschuldigte sich Madame Plonk. „Es war einfach zu kurzfristig. Ich habe jetzt fast einen halben Tag daran verbracht.“ „Das war wunderschön, vielen Dank“, strahlte Drei glücklich. Für ihn war das mehr als genug. Bei Taaka hatte er kein einziges Event gefeiert und hier wurde extra für ihn ein ganzes Fest ausgerichtet. Er konnte es kaum für möglich halten. Zu schön war dieser Moment, um wahr zu sein. Svenna, die von Blythe festlich geschmückt worden war, trug eine Halskette mit Blumen des Großen Baums. Auch einige Milchbeeren hatte sie in ihrem Fell. Sie überreichte ihrem neuen Sohn einen weiteren Kranz und legte ihn ihm um den Hals. Dann sah sie ihn einige Zeit schweigend an, während die Harfengilde ein weiteres Lied anstimmte. „Ich nenne dich Kaeru“, sagte sie dann endlich. Mit dem Einverständnis von Svern hatte sie diesen Namen für ihn ausgesucht, denn so hatte sie ihn früher genannt. Er hieß Kaeru und sie hatte er Likki gebannt. Nach den Ahalikki-Lichtern, unter denen ihr Fell so schön schimmerte. „Kaeru“, flüsterte Drei leise. Von nun an war dies sein Name. Er gefiel ihm wirklich sehr gut. „Und was bedeutet dieser Name? Jytte und Stellan sind ja nach den Hüpfsternen benannt. Das weiß ich.“ „Aber wir haben uns die Namen selbst gegeben“, wandte Jytte ein. Ihr war es im Nachhinein unangenehm, dass nicht Svenna die Namen für sie aussuchen konnte, aber sonst hätten sie vielleicht nie einen Namen bekommen. Kaeru“, setzte Svern an, „hat mich Svenna genannt. Das bedeutet mein Liebster. Das ist mein Leyn navn, mein Kosename. Svenna habe ich Likki genannt. Nach den Ahalikki-Lichtern“, weihte Svern zum ersten Mal andere Tiere in ihr Geheimnis ein. Er fand, dass es bei den Eulen des Großen Baums gut aufgehoben war, da er auch nicht ihr Klopfzeichen verraten hatte. Kareu strahlte und ließ die letzten Töne der Grasharfe seinen Körper erfüllen. „Sehr schön, Kareu“, meinte Soren, „aber wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen jetzt leider an den bevorstehenden Krieg denken. Unser Plan ist so gut wie fertig und morgen früh werden wir aufbrechen. Den Schlüssel werde ich selbstverständlich mitnehmen. Also, schlaft euch nochmal kräftig aus, ehe es losgeht. Der Nachrichtenüberbringer hat mir vorhin gesagt, dass die MacNab und MacNamara bereits auf uns warten und sich dann uns anschließen werden. Wir gehen dann gemeinsam zum Eiskap und erklären den Eiskap-Bären den Krieg. Hauptsächlich als Ablenkung, um die Eisuhr anzuhalten oder zumindest die Laufbleche umzukehren, wie Uluk Uluk es vorgeschlagen hat. So werden wir es machen.“ Soren hielt kurz inne und drehte seinen Kopf. „Gibt es noch Fragen?“, wollte er wissen. „Ich bin immer noch gegen Krieg“, meinte Cleve, Otulissas Gefährte, der ein strikter Kriegsverweigerer war. Für ihn gab es nichts Schlimmeres auf der Welt. „Aber ich werde mich um die Verletzten kümmern. Das wird mein Beitrag sein.“ „Das ist auch schon mehr als genug“, meinte Svern. „Auch die Krankenversorgung ist enorm wichtig in einem Krieg. Damals, im Schwarzeisbunker hätte ich mir eine solche Versorgung mehr als gewünscht, aber mein Glück war schon groß genug, dass ich überhaupt fliehen konnte. Allerdings habe ich die hier als ständiges Andenken.“ Er deutete auf seine verstümmelten Ohren, von denen nur noch die Schlitze zu sehen waren.

Unter der Eisuhr

Madame Plonk stimmte zum Morgen ein altes Lied an, das einst Schneerose gesungen hatte. Die tapfere Schneeeule hatte sich damals Hoole und seiner Mutter Siv angeschlossen, um ihnen im Krieg beizustehen. Zu Ehren dieser ehrenvollen Tat sang Madame Plonk nun dieses Lied, begleitet von den Klängen der Grasharfe.


Die Nacht geht fort

Nimmt die Sterne mit

Wo sind sie hin?

Sei unbesorgt,

sie kehren zurück,

Alles hat seinen Sinn

Der Tag löst sie ab,

Die Sonne geht auf,

Zieht über den Himmel

In stetigem Lauf.

Es folgt der Abend,

Das Dunkel erwacht.

Es schluckt das Licht,

Schon ist wieder Nacht.

Dann jubelt mein Magen,

Dann ist meine Zeit!

Ich schwing‘ mich empor

In den Himmel so weit.

O prächtige Nacht –

O herrliche Nacht!


Nachdem die Wölfe zu ihnen stießen, war der Weg zur Eisuhr nicht mehr weit. Auch die Wölfe der Vulkangarde hatte sich versammelt. Sie hatten einige Rumser und Glut zum Kampf dabei. Ein paar der Eulen, die der Glutsammlerbrigade angehörten, trugen jeweils einen Brocken glühender Glut im Schnabel. Als sie endlich die Eisuhr erreichten, patrouillieren einige Meuchlerbären und bewachten den Eingang. Svenna führte die Gruppe der Eisbären an. Sie wollte vortäuschen, sich wieder in die Dienste der Eisuhr zu stellen, in der Hoffnung, dass sie die Eiskap-Bären sie wieder aufnähmen. Illya, die noch einmal die Gestalt eines Eisbären angenommen hatte – und sich wieder Galilya nannte –, folgte der tapferen Bärin. Die anderen versteckten sich in einiger Entfernung. Kaum waren sie einige Schritte gegangen, wurden die beiden Bärinnen schon aufgehalten, doch da diese Meuchler die Bären in der Eisuhr zum Großteil nicht wirklich kannten, schöpften sie keinerlei Verdacht und ließen sie passieren, nachdem Svenna sie barsch zurechtgewiesen hatte, um den Schein zu wahren. Ihr tat es zwar etwas leid, so grob zu sein, doch erstens hatte sie keine andere Wahl und zweitens hatten es diese Bären nicht anders verdient. Svenna und Galilya liefen durch die vereisten Tunnel und Gänge und sahen sich vorsichtig um. Einmal wären sie fast mit der Herrin des Läutens zusammengestoßen, doch sie konnten sich gerade noch rechtzeitig vor ihr verstecken. „Schnell, hinter diese Säule“, flüsterte Svenna und Galilya folgte ihr auf leisen Pranken. Für sie war es wieder eine enorme Umstellung, sich in dem Körper eines Eisbären zu bewegen. Der massige Körper machte sie plump und langsam, wohingegen ihre wahre Gestalt – die des Schneefuchses – sie mit Leichtigkeit und schier geräuschlos über das Eis springen ließ. Dies erlaubte ihr der Eisbär nicht. Die Zeit als Eisbär war eine Qual gewesen und sie wollte nicht länger als nötig in diesem Fell stecken. Svenna führte sie einen schmalen Gang hinunter, in den unteren Teil der Eisuhr. Dort arbeiteten viele Blaurobben und es waren bereits starben Dutzende von ihnen gestorben. Auch kleine Eisbären – die sogenannten Tiktaks –, die der Eisuhr geopfert wurden, weilten hier teilweise als Gillygaskin herum. Manche von ihnen nur als Nebel, andere – die frisch Verstorbenen – waren von einem normalen Bären fast nicht zu unterscheiden. Die Robben blickten die beiden ängstlich an, doch Svenna beruhigte sie und teilte ihnen den Plan des Königs mit. Augenblicklich stimmten sie zu und wollten ihnen bei ihrem gefährlichen Vorhaben helfen. Schließlich kam es auf ein weiteres Opfer mehr oder weniger auch nicht mehr an, wenn sie dafür die Freiheit bekamen. „Wir müssen die Leitbleche irgendwie umlenken“, erklärte Svenna, die sich noch genau an Uluk Uluks Worte erinnerte. Die Blaurobben tauchten nach unten und führten Svennas Anweisungen aus. Sie lockerten die Befestigung, während Svenna und Galilya sich in den Kanal der Wasserzufuhr legten, um den Druck zu verringern. Tatsächlich hatten sie Erfolg, denn das Rad hielt kurz an und drehte sich bald in die entgegengesetzte Richtung.

„Sie haben es tatsächlich geschafft!“, freute sich Uluk Uluk und zeigte überglücklich auf das Ziffernblatt der gewaltigen Eisuhr, die so vielen Bären das Leben kostete. „Die Zeiger laufen rückwärts. Sie haben die Leitbleche umgekehrt. Hoffentlich bemerkt es keiner der Eiskap-Bären.“ Doch leider erschien bereits kurze Zeit später völlig aufgebracht ein großer Bär – der Groß-Patek, wie Svern erkannte – und brüllte erbost auf, den Blick auf die Eisuhr gerichtet. „Sie läuft falsch herum! Warum laufen die Zeiger in die falsche Richtung?“ Er hieb mit so einer Wucht seine Pranke auf das Eis, dass es einen dünnen Riss bekam. Dieser zog sich unmerklich bis zur Eisuhr durch und spaltete die oberste Spitze des Eises. Entsetzt sah der Groß-Patek dabei zu und schien zu begreifen, dass er selbst daran schuld war. „Urskadamus!“, brüllte er erbost auf und rannte in die Höhle zurück. Die Bären, Wölfe und Eulen versteckten sich. Der Groß-Patek hatte sie noch nicht entdeckt. In einiger Entfernung tauchte Svenna zusammen mit Galilya auf. Illya, war bereits wieder in ihrer normalen Gestalt, denn sie hatte es nicht länger in diesem wuchtigen Körper ausgehalten. Noch auf dem Weg hatte sie das Bärenfell abgeworfen und war zu ihrer ursprünglichen Größe geschrumpft. Svenna hatte sie verblüfft dabei beobachtet. Kaum zu glauben. Ich habe meinen Kindern die Ki-hi-ru-Geschichten als eine ausgedachte Geschichte erzählt und nun gibt es sie wirklich. Einfach unglaublich! Illya berichtete erfreut von ihrem Erfolg und Svern erklärte ihr die Ursache für den Riss in der Eisuhr, der langsam, aber beständig größer wurde und weiter riss. Sie mussten vorsichtig sein, denn der Groß-Patek war sicherlich sehr aufmerksam. Langsam kamen sie wieder aus ihrem Versteck hervor. Svenna platzte fast vor Glück, als sie Sverns erfreuten Blick sah. Sie hatten es tatsächlich geschafft. Mithilfe der Blaurobben, die für ihre Freiheit kämpften. Sie schlichen sich näher an die Eisuhr heran und Gwennya, ein kleiner Elfenkauz, flog nach oben zur Eisuhr, um das Schlüsselloch zu suchen. Sie flog mehrere Runden, konnte es jedoch nicht finden. Fast schon verzweifelt landete die auf einem der rückwärtslaufenden Zeiger. Dann entdeckte sie an der Nabe eine kleine Öffnung, in das der Schlüssel hineinkommen musste. Rasch flog sie wieder nach unten, da sie selbst zu klein war, um den Schlüssel zu tragen. Morgengrau, der starke Bartkauz, musste ihr den Schlüssel bringen. Sie würde ihm das Loch zeigen. Die kleine Elfenkäuzin wog selbst gerade einmal halb so viel wie das schwere Stück Metall, das die Uhr zum Stillstand bringen sollte. Nur mit vereinten Kräften konnten sie es schaffen. Allerdings war Morgengraus Größe eine Gefahr, da er schnell entdeckt werden konnte. Gwennyas zierlicher Körper hingegen fiel in dieser Entfernung kaum noch auf. Aber der Bartkauz war deutlich zu sehen, als er der kleinen Eule hinterherflog. Hoffentlich entdeckte sie der Groß-Patek nicht, oder irgendein anderer Eisbär, gar einer der Meuchler.

Der Schlüssel

Morgengrau flog Stück für Stück näher an die Öffnung heran, in die der Schlüssel hineinpassen musste und beäugte es eingehend. Dann flog er auf die Spitze der Eisuhr und sah sich um. Er wollte überprüfen, ob auch wirklich niemand sie bisher entdeckt hatte. „Morgengrau?“ Gwennya landete neben ihm. „Was machst du da?“ Morgengrau legte die Spitze seines Flügels auf seinen Schnabel, damit sie schwieg. Augenblicklich befolgte sie seine Anweisung. Der Bartkauz drehte mehrmals seinen Kopf in alle Richtungen und verharrte dann wieder. Als er niemanden entdecken konnte, schwang er sich erneut in die Luft und flog zu der Nabe der Zeiger hin, die die Elfenkäuzin ihm gezeigt hatte. Diese landete auf dem größeren der beiden Zeiger, während Morgengrau den Schlüssel in das dafür vorgesehene Loch bugsierte. Es fehlte nicht mehr viel. Nur wenige Millimeter, doch im letzten Moment verkeilte sich der Bart des Schlüssels, er rutschte Morgengrau aus den Krallen und fiel in die Tiefe. Entsetzt sah er ihm nach und warf sich in einem steilen Sturzflug hinterher, doch er war trotzdem zu langsam. Der Schlüssel platschte ins eisige Wasser und versank rasch darin. Der Bartkauz konnte ihn nicht mehr sehen. „Nein!“, quietschte Gwennya entsetzt. „Der Schlüssel … er ist weg!“ Ihr Stimme brach ab. „Was sollen wir nun machen? Wir können unmöglich nach dem Schlüssel tauchen.“ „Ihr nicht, aber ich“, erklärte eine der Blaurobben. „Ich werde hinuntertauchen und ihn suchen. Keine Sorge, ich bin ein guter Finder.“ „In der Tat. Mein Bruder ist der beste Buscari aller Robben, was auf azulanisch Sucher bedeutet. Das ist die alte Sprache der Robben“, meinte eine zweite Robbe. Die erste Robbe, der Buscari, robbte bis zum Rand des Eises und ließ sich dann ins Eiswasser gleiten. Er holte tief Luft und tauchte dann ab. Er ließ sich bis zum Grund gleiten, ehe er zu suchen begann. Systematisch durchkämmte er den Grund nach dem Schlüssel. Er durchwühlte alles, sodass nach kurzer Zeit das Wasser getrübt und undurchschaubar war. Daher musste er kurz warten, dass sich das Trübe wieder verzog und das Wasser klarer wurde. Kurz tauchte er noch einmal auf und schnappte nach Luft, dann verschwand er wieder unter dem dicken Eis. „Was ist? Hat er ihn?“ Ungeduldig tippelte Morgengrau auf dem Eis herum. Er hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen. „Nein, aber keine Sorge. Das hätte jedem von uns passieren können. Wir sind eben nicht für diese Kälte gemacht. Ein Glück, dass du keine Flügelstarre bekommen hast.“ Otulissa erinnerte sich an den Tag, an dem sie fast abgestürzt war, da Soren in einen der Eistunnel gezogen wurde. Da tauchte ein blauer Kopf im Wasser auf und in seinem Maul steckte ein metallfarbener Gegenstand. „Der Schlüssel! Du hast ihn gefunden.“ Erleichtert stürzte Morgengrau zu ihm vor und nahm den Schlüssel entgegen. Dann startete er zu einem erneuten Versuch und flog zu dem Schlüsselloch hinauf. Diesmal klappte es sofort und der Schlüssel passte problemlos in die Öffnung hinein. Jedoch ließ er sich nicht umdrehen. Wie stark sich der Bartkauz auch abmühte, er schaffte es einfach nicht. Soren sah besorgt zu ihm auf. „Was hat er? Warum dreht er ihn nicht um?“, wunderte er sich. Nun erhob er sich und flog zu seinem treuen Freund hinauf. „Morgengrau?“ „Soren, er lässt sich nicht umdrehen!“, klagte der Bartkauz. Er versuchte es verzweifelt weiter, doch auch mit Sorens Hilfe gelang es nicht. In diesem Moment erschien wieder der Groß-Patek und entdeckte die Eulen. Fürchterlich brüllend eilte er zu ihnen und auch weitere Bären preschten in ihre Richtung. Meuchler und Zeitzähler stürmten auf sie zu. Mit Schreck sah Soren, wie sich die Bären näherten. „Schnell, Morgengrau, sie kommen! So beeile dich doch!“ „Es geht einfach nicht. Der Schlüssel lässt sich nicht drehen!“, jammerte er. „Was sollen wir nun tun?“ Sorens Augen weiteten sich. „Ich habe keine Ahnung. Wir müssen den Schlüssel irgendwie drehen. Hilf mir!“ Morgengrau versuchte alles Erdenkliche, doch der Schlüssel bewegte sich kein Stück weit. „Ich habe eine Idee. Weißt du noch im Krieg mit Nyra? Du hast die komplett aus der Fassung gebracht, indem …“, setzte Soren an. „… ich ein Kampflied gesungen habe“, beendete Morgengrau begeistert den Satz. „Soren, das ist die Idee!“ Er schwang sich nach unten und begann zu singen.


Fiese Bären, niederträchtiges Pack, Ihr habt keinerlei Macht, ihr seid schlapp. Die Eisuhr, die ihr alle verehrt, Nur nach eurem Blute zehrt. Aber es ist nur erfunden, Eure bescheuerte Zeitrechnung, die Sekunden, Die Minuten und Millisekunde, Wird mit Bungvik gehen zu Grunde. Die Eisuhr ist nur alles Mechanik, Weder Gott noch lebend, bringt nur Panik. Alles ist nur erlogen ausgedacht, In Wahrheit habt ihr keine Macht!

„Du wagst es, die heilige Eisuhr zu verspotten?“, grollte der Groß-Patek und hieb erbost mit seiner Pranke nach dem vorlauten Vogel, doch er erwischte ihn nicht. „Halte endlich deinen Schnabel. Ich werde ihn dir noch stopfen!“ Er brüllte immer lauter und wurde rasend vor Wut. Morgengrau flog um seinen Kopf herum und schmetterte eine Strophe nach der anderen, die ihn völlig aus der Fassung brachte. Auch die anderen Eiskap-Bären schlugen nun nach ihm, doch keiner von ihnen erwischte ihn. Ein jüngerer Meuchler sprang weit in die Höhe und riss ihm eine Schwanzfeder aus. Morgengrau war kurz verunsichert und taumelte, witterte dann aber die Chance. Er flog wieder in Richtung des Schlüssels und lockte so den Meuchler zu ihm. Erbittert versuchte er den Bartkauz zu erwischen, doch es gelang ihm nicht. Er kletterte an der Eisuhr empor und war nun fast auf seiner Höhe. Morgengrau setzte sich auf den Schlüssel und wartete ab. Als der Meuchler nach ihm schlug, sprang Morgengrau ab und der Eisbär erwischte den Schlüssel, der sich fast im selben Moment zu drehen begann. „Neeeeein!“, brüllte er Groß-Patek von unten, als er den Schlüssel entdeckte. Die Eisuhr bewegte sich nicht mehr. Dann breiteten sich Risse auf dem Boden aus und ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte. Fast zeitgleich breitete sich der Spalt immer weiter aus und durchzog bald das komplette Eis. Mit einem weiteren Knall sprang einer der beiden Zeiger ab und stürzte, gefolgt von dem zweiten, in die Tiefe. Sechs Sekunden und achtzehn Millisekunden lang fielen sie, ehe sie knapp neben dem Groß-Patek und der Herrin des Läutens einschlugen. Dann brach ein Brocken Eis aus der Uhr heraus und ein Schwall von Zahnrädern schoss heraus. Federn und andere Bauteile aus Metall sprangen heraus. Entsetzt guckte Svern dabei zu, wie sich die gewaltige Eisuhr selbst zerstörte. Scheinbar als Einziger begriff er die enorme Gefahr, die dadurch entstand und trieb alle zur Flucht. Niemand zweifelte an seinen Worten und sie ergriffen gemeinsam die Flucht. Unbemerkt von den Eiskap-Bären verschwanden sie. Die Herrin der Zeiger brach brüllend im Eis ein und als einige der Meuchler zu ihr stürmten, um ihr zu helfen, stürzten auch sie hinein.

Die Erlösung

Soren und Morgengrau erkannten in dem Loch der Uhr viele kleine Bären, die auf dem großen Antriebsrad liefen. Sie mussten sie retten! Das mussten die Tiktaks sein, wie Svenna es erzählt hatte. „Schnell, springt heraus ins Wasser!“, wies Soren sie an. Er deutete mit dem Flügel auf eine Stelle, an der noch kein scharfkantiges Eis in die Höhe ragte. Unerwartet tauchte Svenna genau an dieser Stelle auf und winkte den Kleinen zu. Diese sprangen augenblicklich, denn sie erkannten ihre einzige Gelegenheit zu überleben. Immer wieder erschütterte ein Zittern und ohrenbetäubendem Krachen die Eisuhr. Eisbrocken stürzten in die Tiefe und kleine Tiktaks sprangen ins Meer. Svenna wartete bis auf den Letzten und nahm sie dann alle mit sich. Gemeinsam tauchten sie unter und folgten Svern und den anderen. Als sie sich umsah, erkannte sie in der Ferne eine gewaltige Flut, die durch die Wassermassen des Bungvik ausgelöst worden waren. Aus allen Öffnungen der Uhr brach nun das Wasser heraus und brachte sie krachend zum Einsturz. Die Eiskap-Bären riss sie mit sich und begrub sie unter den Trümmern aus Eis und Metall. Keiner der Bären konnte entkommen. Dann überschwemmte das Wasser alles und das gesamte Eis versank in einer gewaltigen Flutwelle. Svenna brachte die Tiktaks sicher zu Svern und den anderen. Jeder der Wölfe nahm einen der verängstigten und völlig abgemagerten Bärenkindern ins Maul und trug diesen übers Festland bis zu ihrem Rastplatz für die Nacht. Die Eulen jagten gemeinsam nach Beute und versorgten sie mit Nagern und anderen Kleintieren. Zuerst waren sie sehr unsicher, doch dann verschlangen sie gierig ihre Mahlzeit. In der Eisuhr hatten sie so gut wie nie etwas wirklich Nahrhaftes bekommen. Da war dies ein regelrechtes Festmahl. Nach dieser üppigen Mahlzeit fielen sie fast augenblicklich in tiefen Schlaf, denn ihre Erschöpfung war furchtbar groß. Im Getriebe der Eisuhr waren sie teilweise mehrere Tage unablässig auf dem gewaltigen Zahnrad gelaufen, um die Uhr am Laufen zu halten. War einer von ihren zu erschöpft gewesen, hatte ihn die Uhr zwischen ihren großen Zahnrädern mitleidslos zermalmt, während die anderen Tiktaks entsetzt dabei zusehen mussten. Jeder von ihnen hatte der Nächste sein können, daher hatten sie die letzten Kräfte aus sich herausgeholt, um diese Qual zu überleben und ihr nicht selbst zum Opfer zu fallen. Otulissa kümmerte sich zusammen mit ihrem Gefährten Cleve rührend um die geschwächten Bärchen, die von Verletzungen übersät waren. Nicht einer von ihnen war gesund oder unversehrt. War es nicht ein äußerlicher Schaden, war der seelische Schaden umso größer. Sie litten unter Panikattacken und Platzangst, sobald sich auch nur ein Tier zu nah über sie beugte.

Epilog II

Als Soren wieder auf seinem Ast im Großen Baum saß, wirkte er zwar erschöpft, aber überglücklich, denn von ihnen war nicht ein einziges Tier verletzt worden oder gar gestorben. Sie hatten alle Tiktaks befreit und auch die Blaurobben schwammen wieder in Freiheit im Meer herum. Nun war die Eisuhr endgültig zerstört und keiner der Eiskap-Bären hatte überlebt. Sie waren endgültig ausgelöscht und nur noch eine schlechte Erinnerung. „Paps?“ Blythe stand aufgeregt am Eingang des Saals. „Blythe!“ Erfreut sah Soren auf. „Was hast du, mein Liebes?“ „Svern, er hat mir eine Nachricht geschickt. Er wollte sich von dir verabschieden. Er sagt, dass er nun tatsächlich mit seinen drei Kindern und Svenna zusammenlebt.“ „Sehr schön. Das ist wirklich sehr ungewöhnlich für einen Eisbären, denn normalerweise sind die Männchen Einzelgänger, doch Svern war ein wirklich besonderer Bär. Und von Froya hat er nichts gesagt?“ Soren war etwas verwundert. „Nein, aber ich kann ihn nach ihr fragen“, meinte Blythe und verschwand. Als sie wieder auftauchte, hatte sie tolle Neuigkeiten: „Du wirst es kaum glauben! Svern hat nicht nur Drei – ich meine natürlich Kaeru, wie er jetzt heißt –, sondern auch Froya adoptiert und sie sind jetzt eine glückliche Familie.“ „Wie schön“, freute sich Soren. „Wie wunderbar!“, freute sich auch Otulissa, die gerade herein geflattert kam. Sie hatte einen Rundflug unternommen, um den Sieg über die Eiskap-Bären zu genießen. „Wie wäre es, wenn wir ein großes Fest ausrichten?“ „Einverstanden!“, nickte Soren. „Bereitet alles Erforderliche vor!“ „Und ich werde Svern, Svenna und ihre Kinder einladen“, meinte Blythe und klopfte eine chiffrierte Nachricht in die Wurzel des Großen Baums hinein.

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Ich lade euch herzlich zu unserem großen Fest im Großen Baum ein!, lautete die Nachricht. Svern eilte sofort zu seiner Familie und sie brachen augenblicklich auf. Sie konnten es kaum erwarten, den Großen Baum und all seine wunderbaren Bewohner wiederzusehen. Die Tiktakts, die er mitgenommen hatte, wurden von anderen Eisbär-Müttern aufgenommen und mache hatten tatsächlich ihre leibliche Mutter wiedergefunden.


Herzliche Grüße

Niklas B.

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